CDU will Stichtag für Import von Stammzellenlinien verschieben - Mißfelder bedauert Entschluss im domradio

Neue Stammzellen für deutsche Forscher?

Der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder hat im domradio die positive Abstimmung seiner Partei über die Ausweitung der Stammzellenforschung in Deutschland bedauert. Die CDU hatte auf dem Bundesparteitag in Hannover beschlossen, den Umgang mit embryonalen Stammzellen zu lockern und die Verschiebung des Stichtags für den Import solcher Zellen zu ermöglichen. Damit wäre die Forschung an neueren Stammzelllinien auch in der Bundesrepublik möglich.

 (DR)

Mißfelder selbst habe auf dem Parteitag gegen eine Ausweitung der Stammzellenforschung in Deutschland gestimmt, betonte der JU-Chef im Interview. Für ihn sei dies eine "Gewissensentscheidung". Der CDU-Bundestagsabgeordnete kündigte an, auch bei einer möglichen Abstimmung im Bundestag gegen eine Ausweitung der Stammzellenforschung stimmen zu wollen.

"Es darf keine demokratisch legitimierte Partei rechts der CDU geben"
Mißfelder sprach sich zudem dafür aus, die konservativen Stammwähler, insbesondere Senioren, nicht aus den Augen zu verlieren. Prinzipiell stellte er sich hinter den Kurs der CDU, der seit Hannover explizit auf die Wählermitte abzielt. Man müsse jedoch beachten, dass es innerhalb seiner Partei ein großes Spektrum gebe. Mißfelder betonte zugleich: "Rechts von uns darf es keine Partei geben." Man müsse aber auch gegen den zunehmenden Linkstrend arbeiten, der durch die Linkspartei mit ihrem "unerträglichen Populismus" geschürt werde.

Im domradio hielt der JU-Vorsitzende auch ein Plädoyer für Werte in der Gesellschaft: "Wer glaubt, dass Werte out sind, der irrt vollkommen." Veranstaltungen wie der Weltjugendtag in Köln zeigten, dass Werte nicht altmodisch seien, sondern dass es heutzutage ein Bedürfnis nach konservativen Werten bei jungen Menschen gebe.

Kein Fraktionszwang
Bisher dürfen deutsche Forscher nur solche Stammzelllinien importieren und verwenden, die vor dem Stichtag am 1.1.2002 entstanden sind. Im Bundestag soll im kommenden Jahr über eine Verschiebung näher an die Gegenwart heran entschieden werden. Die Unionsfraktion wollte vor einer Debatte im Parlament das Votum des CDU-Parteitags abwarten. Wie bei ethischen Entscheidungen üblich, sollen die CDU-Bundestagabgeordneten aber frei nach ihrem Gewissen über eine Lockerung der Stammzellgesetzgebung entscheiden können. Das sagte Fraktions-Geschäftsführer Norbert Röttgen dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Es werde trotz des Parteitagsbeschlusses vom Montag keine Fraktionsposition geben. Stattdessen werde im Bundestag auf der Basis überfraktioneller Gruppenanträge abgestimmt. Die Entscheidung zum Stammzellgesetz sei "Ausdruck der höchstpersönlichen Überzeugungs- und Gewissensbildung", unterstrich Röttgen.

Substanz des Stammzellengesetz soll erhalten bleiben
Bundesforschungsministerin Annette Schavan hatte im Vorfeld eindringlich für eine Verschiebung des Stichtags geworben, obwohl sie dies bislang stets abgelehnt. Nun zeigt sie sich überzeugt, eine Verschiebung sei ethisch "verantwortbar". Sie könne ihre Überzeugungen als katholische Theologin und ihre Verantwortung als Forschungsministerin mit einem solchen Beschluss vereinbaren, sagte sie. Auch wenn der Stichtag verschoben werde, werde die Substanz des Stammzellgesetzes erhalten. Von Deutschland werde auch weiterhin kein Anreiz ausgehen, Embryonen für die Forschung zu produzieren.

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) hatte wiederholt Kritik an seinem Mitglied Schavan ob dieses Gesinnungswandels geübt.

Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel hatte sich kurz vor der Abstimmung in die Debatte eingeschaltet und die Position von Schavan unterstützt. Sie habe sich "nach langer Überlegung" der Argumentation der Forschungsministerin angeschlossen, sagte Merkel auf dem Parteitag. Die Delegierten hätten in so einer wichtigen Frage ein Anrecht darauf, die Haltung ihrer Parteivorsitzenden zu kennen.

Embryonale Stammzellforschung überflüssig machen
Es gäbe auch eine Ethik des Heilens hatte Schavan betont. Für eine gewisse Zeit müsse eine Forschung mit embryonalen Stammzellen möglich sein, um zu besseren Ergebnissen in der adulten Stammzellenforschung zu kommen. 97 Prozent der Förderung gehe in Deutschland in die adulte Stammzellforschung. Ziel müsse sein, die embryonale Stammzellforschung überflüssig zu machen. Sie sei aber als Vergleichsforschung noch erforderlich. Ohne die Forschung an embryonalen Zellen wären die jüngsten Erfolge bei der Reprogrammierung adulter Zellen nicht möglich gewesen.

Amerikanischen und japanischen Forschern war es vor kurzem gelungen, Haut- und Bindegewebszellen so umzubauen, dass sie die Fähigkeit embryonaler Zellen besitzen, sich zu allen Zellformen weiterzuentwickeln. Davon erhofft man sich die Heilung und Nachzucht für erkrankte Gewebe, etwa bei Krebs.

Kirche bedauert Entscheidung
Die katholische Kirche hat das Votum des CDU-Bundesparteitags zur Stammzellforschung deutlich kritisiert. Der Leiter des Katholischen Büros bei der Bundesregierung, Prälat Karl Jüsten, nannte die Entscheidung zur Stammzellenfoschung bedauerlich. Die CDU habe am gleichen Tag in ihrem neuen Grundsatzprogramm immer wieder auf die Würde des Menschen und die Bedeutung des christlichen Menschenbildes verwiesen.

Die Abstimmung zur Reform des Stammzellgesetzes "war dafür ein Lackmustest", so der Prälat. Die hehren Aussagen eines Grundsatzprogramms müssten sich in solchen konkreten praktischen Fragen beweisen. Der Parteitag habe es verpasst, eine eindeutige Position auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes zu beschließen.

Kritiker: "ethische Wanderdüne"
Auch in der Partei selbst gibt es viele Kritiker. Die Vorsitzende der Frauen Union, Maria Böhmer, lehnte eine Verschiebung des Stichtags ab: "Dann ist der Stichtag kein Stichtag mehr." Der 2002 gefasste Beschluss, an dessen Erarbeitung Böhmer maßgeblich beteiligt war, sei als einmaliger Beschluss zu verstehen.

Die stellvertretende rheinland-pfälzische CDU-Vorsitzende Julia Klöckner warnte ebenfalls davor, den geltenden Stichtag in Frage zu stellen. Es würden weitere Verschiebungen folgen wie eine "ethische Wanderdüne", sagte Klöckner. Die Orientierung am christlichen Menschenbild, am Schutz der Menschenwürde und des menschlichen Lebens müsse auch in der konkreten Politik der CDU erkennbar sein.