Welt-Aids-Tag am Samstag: Experten befürchten weiteren Anstieg von HIV-Neuinfektionen

Präventionsmüde Deutsche

Seit Jahren stagniert die Zahl der Aids-Toten in Deutschland. Gleichzeitig aber steigt die Zahl der HIV-Neuinfektionen. Aids scheint seinen Schrecken verloren zu haben. Politiker und Wissenschaftler schlagen am Welt-Aids-Tag Alarm.

 (DR)

59 000 Betroffene bis Ende 2007
Von den rund 3000 Neuinfektionen sind etwa 2400 Männer, 600 Frauen und 25 Kinder betroffen. 72 Prozent der Betroffenen steckten sich 2007 bei gleichgeschlechtlichem Sexualkontakt mit Männern an. Beim Drogenkonsum infizierten sich rund sieben Prozent, so das Robert-Koch-Institut (RKI) anlässlich des Welt-Aids-Tages am 1. Dezember. Bis Ende des Jahres rechnet das Institut mit rund 650 Todesfällen bei den HIV-Infizierten.

Zwar sei die Zahl der Verstorbenen seit 1996 um mehr als 68 Prozent zurückgegangen. Das dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in den vergangenen fünf Jahren diese Zahl stagniere, erläuterte das statistische Bundesamt. 2002 waren danach 518 Menschen an Aids gestorben, im vergangenen Jahr 504. Experten sind außerdem überzeugt, dass die Zahl der Neuinfektionen noch weiter steigen wird: Bis Ende 2007 werden in Deutschland 59 000 Menschen mit HIV oder Aids leben, wie das RKI mitteilte.

Überproportional von Neuinfektionen betroffen seien Menschen mit Migrationshintergrund, erklärte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung will sich bei der Aids-Aufklärung deshalb auch besonders an diese Bevölkerungsgruppe richten. Auch soll im Rahmen einer neuen Präventionskampagne darüber informiert werden, inwieweit andere Geschlechtskrankheiten wie Syphilis oder Gonorrhö das Risiko für eine HIV-Infektion erhöhen.

Suche nach Impfstoff bisher ergebnislos
Rund 25 Jahre nach der Entdeckung des Aids-Erregers gebe es noch "keinen vielversprechenden Kandidaten für einen Impfstoff", der in absehbarer
Zeit eingesetzt werden könnte, sagte der Leiter des Fachgebiets
"HIV/Aids" am Berliner RKI, Osamah Hamouda. Die Entwicklung eines Impfstoffs sei leider von vielen Rückschlägen gekennzeichnet. "Letztlich haben wir heute noch nicht alle Details verstanden, wie der Schutz des Immunsystems aussehen muss, damit es sich erfolgreich gegen HIV wehren kann", sagte der Epidemiologe.

In der Forschungsgemeinschaft wird zugleich immer wieder geklagt, dass die
HIV-Forschung in Deutschland verglichen mit Frankreich oder den USA relativ wenig gefördert wird. Bis Ende des Jahres rechnit das RKI mit rund 650 Todesfällen bei den HIV-Infizierten. "Trotz der modernen Medikamente ist noch niemand von seinem HIV geheilt worden, und auch die Impfstoffentwicklung bleibt schwierig", sagte RKI-Präsident Reinhard Kurth.

Dennoch: Erhöhte Lebenserwartung für Infizierte
Nach Angaben des statistischen Bundesamtes, habe sich aufgrund neuester
Wirkstoffe und des Einsatzes von Kombinationstherapien die Lebenserwartung der Infizierten aber erhöht: Das Sterbealter lag demnach 2006 bei 48,8 Jahren, wobei Frauen mit 46,2 Jahren im Schnitt über drei Jahre früher an Aids sterben als Männer mit 49,3 Jahren. 1996 hatte das Sterbealter noch 41 Jahre betragen.

Angesichts stetig steigender Infiziertenzahlen sagte Hamouda, die Krankheit habe "etwas von ihrem Schrecken verloren". Dennoch sei das Wissen um die Nicht-Heilbarkeit weit verbreitet. Deutschland sei bei der Zahl der Infektionen bezogen auf die gesamte Bevölkerung in Europa eher am unteren Rand. Der Experte bezeichnete es als "absehbar", dass die Zahl der Menschen, die in Deutschland mit HIV leben, jedes Jahr steigen wird.

Finke führte die Ansteckungen auf ein abnehmendes Risikobewusstsein und Präventionsmündigkeit zurück. Unter anderem trage aber auch die gleichbleibende oder sinkende Rate von tatsächlichen Erkrankungen und Todesfällen bei einer höheren Zahl von Neuinfektionen zu dieser Ansicht bei.

Mehr Solidarität gefordert
Sven Christian Finke, Vorstandsmitglied der Aids-Hilfe beklagte, dass die Solidarität mit Aidskranken in der Gesellschaft schwinde. "Aids ist keine Krankheit, mit der es sich gut leben lässt", so Finke. HIV-Infizierten würden wieder ausgegrenzt. Durch neue Therapien steige zwar die Lebenserwartung. Die Chancen auf Arbeitsplatz und Karriere würden aber geringer. Zudem seien viele Kranke von Kürzungen oder Streichungen im Sozialbereich betroffen. Die Menschen sollten solidarisch sein, nicht nur zum Welt-Aids-Tag, betont Finke.

Gesundheitsministerin Schmidt rief Einzelpersonen, Vereine, Gemeinden und Schulen dazu auf, sich anlässlich des Welt-Aids-Tages als "Botschafter" für mehr Prävention und größere Solidarität mit Aids-Kranken einzusetzen.