Keine Mehrheit für bedingungsloses Grundeinkommen

Grüne entdecken Hartz IV

Auf dem Parteitag in Nürnberg trafen die Grünen für ihre Partei weit reichende Entscheidungen, vor allem in der Sozial- und Wirtschaftspolitik. So beschloss die Mehrheit der Deligierten eine Grundsicherung von 420 €, um die Situation der Hartz IV- Empfänger zu verbessern.

 (DR)

Das war auch eine Entscheidung gegen das konkurrierende Programm eines bedingungslosen "Sockel-Grundeinkommens", das die baden-württembergischen Grünen eingebracht hatten. Der Antrag bekam 296 Stimmen. Die Grünen beschlossen außerdem, verstärkt in Bildung und Kinderbetreuung zu investieren. Insgesamt wurde ein Maßnahmenpaket von rund 60 Milliarden Euro beschlossen.

Der Nürnberger Konvent kann auch als Ankunft der Grünen in der Opposition gewertet werden, wo die Verheißungen naturgemäß großzügiger ausfallen als auf der Regierungsbank neben dem Kassenwart. Für die geforderten Maßnahmen mit Verbesserungen für "Hartz IV"-Empfänger sowie massiven Investitionen etwa bei der Kinderbetreuung und im Bildungsbereich werden mindestens 60 Milliarden Euro veranschlagt - allein die angestrebte Anhebung des Regelsatzes beim Arbeitslosengeld II (ALG II) von derzeit 347 Euro auf 420 Euro würde mit rund 9,5 Milliarden Euro zu Buche schlagen.

Nicht von heute auf morgen
Die sozialpolitischen Beschlüsse der Grünen vom Bundesparteitag in Nürnberg sind nach Angaben der Haushaltsexpertin der Partei, Anja Hajduk, denn auch nur über mehrere Jahre zu finanzieren. Der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Montagausgabe) sagte Hajduk: "Mehrausgaben von 60 Milliarden Euro sind nicht von heute auf morgen zu machen, sondern schrittweise." Die Finanzexpertin betonte: "Wir wollen diese Ausgaben nicht ausspielen gegen eine solide Haushaltspolitik."

Hajduk erklärte, die von den Grünen vorgeschlagene Anhebung der "Hartz IV"-Regelsätze von 347 auf 420 Euro würden dem Bund etwa fünf Milliarden Euro im Jahr kosten. Diese Mittel ließen sich gegenfinanzieren durch eine Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 45 Prozent und eine aufkommensneutrale Unternehmenssteuerreform sowie den Abbau von Subventionen. Auch die Abschaffung des Ehegattensplittings steht dabei zur Debatte.

Weiter wollen die Grünen durch eine zentrale Steuerverwaltung beim Bund Milliarden sparen. "Eine Bundessteuerverwaltung könnte den Umsatzsteuerbetrug und Gewinnverlagerungen ins Ausland besser bekämpfen", sagte die Grünen-Finanzexpertin Christine Scheel der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" (Montagausgabe). Eine Verlagerung der Zuständigkeit von den Ländern auf den Bund würde die Steuergerechtigkeit erhöhen und könnte so die für die Anhebung des Regelsatzes veranschlagten Kosten von 9,5 Milliarden Euro finanzieren, kalkuliert die Finanzexpertin der Grünen.

Gegen soziale Verunsicherung
Grünen-Chef Reinhard Bütikofer weist die Kritik an den sozialpolitischen Beschlüssen seiner Partei zurück. Im Kern gehe es um die Frage, ob man etwas gegen die soziale Verunsicherung unternehme, sagte Bütikofer am Montag im RBB-Inforadio. "Ich glaube, dafür sind unsere Beschlüsse ganz wichtig, gerade deswegen, weil sie nicht eine Rolle rückwärts sind, weil sie nicht alles in Zweifel ziehen, was man gemacht hat."

Mit den Entscheidungen des Nürnberger Grünen-Parteitages gehe es vielmehr um eine Weiterentwicklung der "Hartz"-Reformen, hob Bütikofer hervor. Nach der Bundesdelegiertenkonferenz hätten die Grünen durchaus eine "gestärkte Oppositionsfähigkeit". "Wir wollen eine Kraft des sozialen Aufbruchs sein", betonte Bütikofer.

Absage an Grundeinkommen bedauert
Der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) hat die Beschlüsse des Grünen-Parteitages zur Sozialpolitik kritisiert. "Die grüne Grundsicherung ist ein sehr Bürokratie schaffendes Modell", sagte Althaus der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" (Montagausgabe). Mit Blick auf die Grünen-Forderung nach einem auf 420 Euro erhöhten "Hartz IV"-Regelsatz und nach mehr Schonvermögen bei der Altersvorsorge fügte Althaus hinzu: "Die Grünen versuchen, an eine sehr populäre Debatte Anschluss zu gewinnen, bleiben aber Entscheidungen ihrer Regierungsvergangenheit verhaftet." Das CDU-Präsidiumsmitglied hält dagegen: "Wir müssen nicht die Zahlungen erhöhen, wir müssen ein anderes System einführen."

Althaus bedauerte die Absage der Grünen an ein Grundeinkommen. Die Befürworter eines Grundeinkommens hätten jedoch "keineswegs eine deprimierende Abfuhr kassiert". Die Debatte werde weitergehen. Zudem habe es gegenüber dem Antrag der Parteiführung zur Grundsicherung "einige Änderungen gegeben, die für die Grünen die Tür für einen grundlegenden Umbau des Sozialsystems offenhalten".

Datenschutz und Bürgerrechte
Zentrales Thema am Sonntag waren die Bürgerrechte. In einem Beschluss warnten die Grünen vor einem "präventiven Überwachungsstaat". Sie lehnten die jüngst vom Bundestag beschlossene Vorratsdatenspeicherung der Telekommunikationsdaten sowie heimliche Online-Durchsuchungen von Computern und der Einsatz der Bundeswehr im Inneren ab. Roth kritisierte: "Die große Koalition ist der Totengräber unserer lebendigen Demokratie."

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