Christenmord-Prozess mit schweren Vorwürfen gegen Behörden

Ermittlungen gegen Opfer statt gegen Täter?

Zum Auftakt des Prozesses um die Ermordung von drei Christen im osttürkischen Malatya haben die Anwälte der Hinterbliebenen schwere Vorwürfe gegen die Behörden erhoben. Wie schon bei früheren Morden an Christen in der Türkei versuche man auch in Malatya wieder, die Tat als bedauerlichen Einzelfall abzutun und die wahren Hintergründe unter den Teppich zu kehren, sagte am Freitag der Anwalt Mehmet Ali Kocak, der die Angehörigen der Ermordeten vertritt.

 (DR)

Der Prozess, in dem sich sieben junge Männer aus Malatya für den Mord an zwei türkischen Christen und einem Bundesbürger verantworten müssen, wurde nach Verlesung der Anklageschrift auf den 14. Januar vertagt. Die Angeklagten wünschten sich mehr Zeit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung.

Drei Mal lebenslange Haft beantragte die Staatsanwaltschaft am ersten Prozesstag für die fünf mutmaßlichen Haupttäter, den Rädelsführer Emre Günaydin und vier weitere Männer aus Malatya.
Die fünf Männer im Alter zwischen 19 und 20 Jahren sind angeklagt, Mitte April den Pastor der protestantischen Gemeinde von Malatya, Necati Aydin, den türkischen Protestanten Ugur Yüksel und den in Malatya ansässigen Deutschen Tilman Geske in eine Falle gelockt, stundenlang gefoltert und dann ermordet zu haben. Zwei weitere Männer müssen sich wegen Beihilfe verantworten. Tatmotiv war laut Anklage der Hass auf Christen.

Ermittlungen gegen Opfer statt gegen Täter
Der Anwalt der Nebenklage zog vor Gericht eine Verbindung von der Ermordung des katholischen Priesters Andrea Santoro in Trabzon 2006 über den Mord an dem armenischen Journalisten Hrant Dink in Istanbul im Januar bis zum Massaker von Malatya. "Wenn die Verbrechen an Santoro und Dink richtig aufgeklärt worden wären, statt als bedauerliche Einzelfälle abgetan zu werden, dann hätte es diesen Prozess hier in Malatya vielleicht gar nicht geben müssen", so Kocak. Auch diesmal drohe die juristische Aufarbeitung zu scheitern, weil die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen auf die Opfer ausrichte statt auf die Täter.

Nach Angaben der Nebenklage befasst sich der überwiegende Teil der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten mit der Frage, ob die drei Opfer für das Christentum missionierten. Statt die Tat aufzuklären, habe die Staatsanwaltschaft 16 Aktenordner mit Ermittlungen über die missionarischen Tätigkeiten der Mordopfer gefüllt, sagte Kocak. Obendrein würden darin alle Protestanten in der Türkei mit Namen und Adressen aufgeführt "und damit zur Zielscheibe gemacht".

Christliche Missionierung ist in der zu 99 Prozent muslimischen Türkei nicht verboten, aber sehr verpönt und gefürchtet. Ebenso wie die Angeklagten in Malatya hatte auch der Mörder Santoros angegeben, er habe das Land vor christlichen Missionaren schützen wollen.

Der Rechtsberater der Vereinigung der protestantischen Gemeinden in der Türkei, Orhan Kemal Cengiz, wies darauf hin, dass allen jüngsten Christenmorden jeweils eine öffentliche Kampagne gegen die Opfer vorangegangen sei. In Malatya hätten vor allem Teile der Lokalpresse eine Kampagne gegen die Protestanten geführt. Nach Angaben der Anwälte ging die Staatsanwaltschaft jedoch Hinweisen auf Hintermänner in der Presse und in nationalistischen Kreisen der Stadt aber nicht nach.

Geisteshaltung der Mörder aufklären und verurteilen

Dagegen sagte Susanne Geske, die Witwe des ermordeten deutschen Missionars, dem Gericht, sie vertraue "in das laizistische System dieses Landes und in seine Justiz". Seit der Ermordung ihres Mannes sei ihr in Malatya nichts Böses widerfahren. Im Gegenteilhätten ihr alle Nachbarn und auch der Prediger der Moschee beigestanden. Semse Aydin, Witwe des ermordeten Pastors, sagte, sie wünsche sich, dass im Prozess auch die Geisteshaltung aufgeklärt und verurteilt würde, die die Mörder motiviere.

Türkische Protestanten haben es in der Türkei in der Regel noch schwerer als andere Christen, weil sie meist vom Islam übergetreten sind. Dies betrachten extremistische Türken als Verrat an der Nation.