Fall Marco sorgt im EU-Parlament für Empörung - Koch-Mehrin im domradio: "Absolut absurd"

Union zeigt Muskeln

Der Fall Marco belastet zunehmend die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU. Die Vorsitzenden aller Fraktionen des europäischen Parlaments haben auf Initiative der Liberalen den EU-Erweiterungskommissar aufgefordert, sich bei der Regierung in Ankara für ein rechtsstaatliches Verfahren im Fall des 17-jährigen Deutschen einzusetzen. "Wenn die Türkei in die EU möchte, müssen wir auch erwarten können, dass ein EU-Bürger wie Marco ein anständiges Verfahren bekommt", so die Vizechefin der Liberalen im Europaparlament, Silvana Koch-Mehrin.

 (DR)

Parlamentspräsident Hans-Gerd Pöttering wurde in der nichtöffentlichen Sitzung von allen Fraktionsvorsitzenden zudem damit beauftragt, Rehn die Besorgnis des europäischen Parlaments zu übermitteln, wie die Zeitung schreibt.

"Egal, ob Marco schuldig ist oder nicht: Einen Minderjährigen sieben Monate lang in Untersuchungshaft gefangen zu halten verstößt gegen alle rechtsstaatlichen Prinzipien der EU", sagte Koch-Mehrin. Dass die Aussageprotokolle des mutmaßlichen Missbrauchopfers Charlotte aus Großbritannien noch immer nicht dem Gericht in Antalya vorliegen, sei "ein Skandal". "Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter, als noch Reiter Botschaften von einem Land ins andere bringen mussten."

Auch der CDU-Europaabgeordnete Markus Pieper forderte im Fall Marco eine "menschliche Entscheidung". "In vielen europäischen Ländern gelten verantwortungsbewusste Rechtssysteme, nach denen der 17-Jährige unter Auflagen schon längst aus der Untersuchungshaft entlassen worden wäre", sagte das Mitglied im Ausschuss für regionale Entwicklung des Europäischen Parlaments der Neuen OZ. Er hoffe, dass bei dem Verfahren in Antalya neben der juristischen Richtigkeit im türkischen Sinne auch ein Stück Menschlichkeit zum Tragen komme.

Die Bundesregierung will offenbar der von den Anwälten des Jungen angekündigten Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beitreten, falls beim nächsten Gerichtstermin in Antalya am 14. Dezember erneut keine Entscheidung fällt. Dies bedeute, dass sich Berlin auch an den Kosten des Verfahrens beteiligt, berichtet die "Bild"-Zeitung (Donnerstagausgabe).

Unterdessen übten weitere Politiker heftige Kritik an dem schleppenden Verlauf des Verfahrens gegen den deutschen Schüler. FDP-Generalsekretär Dirk Niebel sagte: "Es ist unzumutbar, wenn ein junger Mensch unter der Schlamperei von Behörden zu leiden hat, die ihm die kostbarste Zeit seines Lebens nehmen - die Jugend." Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, erklärte: "Die Verzögerungen des Verfahrens sind für mich nicht nachvollziehbar. Ich appelliere an die türkische Justiz, Marco unverzüglich aus der U-Haft, gegebenenfalls unter Auflagen, freizulassen."

Die Verhandlung gegen Marco war am Dienstag im türkischen Antalya auf den 14. Dezember vertagt worden. Der Jugendliche soll sich im April im türkischen Urlaubsort Side in einem Hotelzimmer an der 13-jährigen Britin Charlotte sexuell vergangen haben. Der Schüler sitzt seit mehr als sieben Monaten in Untersuchungshaft in der Türkei.