Bei ihrem Nein zu einer Änderung des Stammzellengesetzes und einer neuen Stichtagsregelung sind sich Partei und Kirche ungewohnt einig

Wenn Grüne und Kardinäle Hand in Hand gehen

Seit Monaten diskutiert die Politik auf Drängen zahlreicher Forscher über eine Änderung des Stammzellgesetzes. Bisher dürfen Forscher an menschlichen embryonalen Stammzellen arbeiten, die vor dem 1. Januar 2002 im Ausland gewonnen wurden. Diese Regelung soll verhindern, dass weitere Embryonen vernichtet werden, um Stammzellen zu gewinnen. Nun soll der Stichtag einmalig von 2002 auf 2007 verschoben werden. Große Teile von CDU, FDP und SPD wollen das, Grüne und katholische Kirche sind dagegen.

 (DR)

Die grüne Forschungspolitikerin Priska Hinz kündigte am Mittwoch an, ab sofort Unterschriften für die Beibehaltung des Stammzellgesetzes von 2002 zu sammeln. Befürworter einer Änderung der geltenden Rechtsgrundlage könnten deren Notwendigkeit nicht begründen, sagte sie der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Hinz betonte, sie wisse die große Mehrheit ihrer Fraktion hinter sich.

Vehement zurückgewiesen hat auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck, Vorschläge Reiches zu einer Änderung des Stammzellgesetzes. Mit diesem Weg käme "beim Schutz des menschlichen Lebens alles ins Rutschen", reagierte er in seiner Eigenschaft als menschenrechtspolitischer Sprecher der Grünen auf derartige Überlegungen. Mit einer Änderung des Stichtages würde sich der Gesetzgeber pragmatisch an den Bedarfsanmeldungen der Forschung orientieren.

Das Töten und Vernichten menschlichen Lebens zur Gewinnung von embryonalen Stammzellen, so Beck, würde durch eine Änderung des Stichtags im Gesetz erneut legitimiert. "Dieses ethische Shopping des Gesetzgebers lehne ich ab", heißt es in seinem Statement. Warum der Gesetzgeber dann überhaupt noch einen Stichtag brauche, wenn er ihn nach Bedarf ohnehin immer wieder verschiebe, sei begründungsbedürftig.

Auch Kardinal Lehmann warnte erneut vor jeglicher Lockerung. Die Förderung auch hochrangiger Forschungsinteressen dürfe "unter keinen Umständen dazu führen, dass embryonale Menschen verzweckt und getötet"
würden. Eine Verschiebung des Stichtags würde den Schutzgedanken des Stammzellgesetzes noch weiter aushöhlen, so der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz.

Der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer, verwies derweil darauf, auch der frühe Embryo habe menschliche Qualität und Personalität. Die katholische Kirche lehne Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen entschieden ab, sagte er am Mittwoch im Kardinal-Höffner-Kreis katholischer Unionsabgeordneter. Sie weise auch jede Lockerung des Stichtages zurück. Die evangelische Kirche spricht sich für eine einmalige Änderung aus, falls es keine andere Möglichkeit der Forschung gibt.

Streit um Lockerung der Stammzellforschung spitzt sich zu
Mit Blick auf mögliche neue Therapieformen hatte die Unionspolitikerin Reiche gefordert: "Die Strafbarkeit muss gestrichen werden! Der Stichtag, der die Forscher auf alte, weitgehend unzulängliche Zelllinien festlegt, muss ersatzlos aufgehoben werden."

Auch Bundestagsabgeordnete von FDP und SPD haben eine gesetzliche Ausweitung der Forschung mit embryonalen Stammzellen gefordert. Die bestehende Stichtagsregelung habe sich als "Forschungsbremse" herausgestellt, sagte die technologiepolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Ulrike Flach, am Mittwoch in Berlin. Gemeinsam mit dem SPD-Abgeordneten Ralf Stöckel stellte sie einen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf vor, der die Abschaffung dieser Regelung vorsieht.

Der neue Entwurf sieht außerdem vor, dass die Strafbarkeit für deutsche Wissenschaftler entfällt, wenn sie im Ausland an dort bereits bestehenden Stammzelllinien arbeiten. Das derzeit gültige Gesetz kriminalisiere und hänge wie ein Damoklesschwert über deutschen Forschern, sagte Flach zur Begründung des Antrags.

Eine weitere Gruppe von Abgeordneten um den SPD-Politiker René Röspel arbeitet derzeit an einem weniger weit reichenden Gesetzentwurf.
Danach soll der Stichtag für den Import der Zellen nicht abgeschafft, sondern lediglich verschoben werden, und zwar auf den 1. Mai 2007.
Auch dieser Entwurf sieht vor, dass Wissenschaftler, die im Ausland an embryonalen Stammzelllinien forschen, keine Strafverfolgung fürchten müssen.

Am Dienstag hatten die SPD-Fachpolitiker Jörg Tauss, Rene Röspel und Carola Reimann offiziell begonnen, in ihrer Fraktion für eine einmalige Verschiebung des Stichtags auf Mai 2007 und eine Begrenzung der Strafandrohung zu werben. Sie zeigten sich überzeugt, dass die Mehrheit der SPD-Fraktion und die Mehrheit des Bundestags ihren Antrag mittragen könnten.

Das Thema wird, wie Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) am Mittwoch sagte, in diesem Jahr nicht mehr das Plenum des Bundestages beschäftigen. Anfang 2008 werde sich das Parlament mit dieser Frage aber befassen.