Münteferings Rücktritt macht Regieren für Kanzlerin Merkel schwieriger

Große Koalition verliert wichtige Stütze

Für die große Koalition ist der Rücktritt von Franz Müntefering (SPD) ein schwerer Verlust. Der Vizekanzler und Arbeitsminister war eine wichtige Säule der Koalition. Mit seinem Abgang befindet sich das Bündnis von Union und SPD in der schwersten Krise seit dem Start vor zwei Jahren. Ein rasches Kentern des Koalitionsschiffes ist jedoch eher unwahrscheinlich.

 (DR)


"Münte" war verlässlicher Partner
Insbesondere für Bundeskanzlerin Angela Merkel (SPD) ist der Abgang von Müntefering ein herber Schlag. Sie schätzte "Münte" als verlässlichen Partner. Nicht nur, dass sie erstmals seit Amtsantritt einen Minister auswechseln muss. Zwischen ihr und Müntefering war gleich zu Beginn der Koalition ein Vertrauensverhältnis entstanden.

Allerdings hatte dieses zuletzt Risse bekommen. So bemängelte Müntefering im Sommer öffentlich Merkels Führungsstil und beklagte, dass die CDU-Chefin und Kanzlerin anders als ihr Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) ihr Parteiamt voranstelle. Der Eindruck des Misstrauens hat sich nun noch verstärkt. Ohne Merkel beim Namen zu nennen, zeigte sich Müntefering im Deutschlandfunk "tief enttäuscht" von der Haltung der Union beim Thema Mindestlohn und sprach von "blanker Lobbypolitik".

Beck zuletzt Wortführer
Seit Amtsantritt von SPD-Chef Kurt Beck vor anderthalb Jahren weiß Merkel aber auch, dass der rheinland-pfälzische Ministerpräsident bei den Sozialdemokraten das Sagen hat. Das gilt erst recht seit dem jüngsten SPD-Parteitag, auf dem sich Beck gegen Müntefering bei der Verlängerung des Arbeitslosengeldes I durchgesetzt hat. Auch in der bis Dienstag um 2.00 Uhr morgens dauernden Koalitionssitzung trat Beck als Wortführer der SPD auf, wie Teilnehmer betonten.

Der Rücktritt von Müntefering kam dennoch völlig überraschend. Im Rundfunkinterview antwortete der Vizekanzler am Morgen auf die Frage, ob er aufgebe allerdings zweideutig. "Nein. Aufgeben tun wir nie", sprach der Vizekanzler in der Mehrzahl. Nach Angaben von CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer hat sich der Schritt auch in der Nachtsitzung "in keinster Weise angedeutet". Die Atomsphäre sei sachlich gewesen, "es blieben keinerlei Verletzungen". Er habe "schon wildere Szenen" im Koalitionsausschuss erlebt.

Zusammenarbeit schwieriger
Mit einem künftigen Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier und Arbeitsminister Olaf Scholz (beide SPD) dürfte die Zusammenarbeit nicht einfacher werden. Im Verhältnis zu Steinmeier - neuerdings auch stellvertretender SPD-Vorsitzender - sind in jüngster Zeit außenpolitische Differenzen zutage getreten. Und Scholz gilt als cleverer Jurist, der darauf drängen dürfte, die Union auf klare Vereinbarungen festzunageln. Hat doch Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) am Morgen schon angekündigt, die SPD werde künftig nach Wegen suchen, wie "Verabredungen in Stein gemeißelt" werden könnten.

Mit dem Ergebnis der langen Nacht im Kanzleramt, bei der es auch eine längere Auszeit gab, kann die Union insgesamt zufrieden sein. Sie hat bei der Verlängerung des ALG I Kostenneutralität durchgesetzt und zugleich eine Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung auf 3,3 Prozent. Und über das vorläufige Scheitern des Post-Mindestlohns dürfte man in der Union ebenfalls glücklich sein.

Allerdings kann wohl auch die SPD der Nichteinigung eine positive Seite abgewinnen. Sie hat nun ein Pfund mehr in den anstehenden Landtagswahlkämpfen. Ende Januar werden in Hessen und Niedersachsen sowie Ende Februar in Hamburg neue Landesparlamente gewählt. Die große Koalition in Berlin sieht stürmischen Zeiten entgegen.