Mit seinem Abschied hat Müntefering das politische Berlin überrascht

Letzter "Blaumann" im Willy-Brandt-Haus

Der Vizekanzler geht von Bord. Die Nachricht vom Rücktritt Franz Münteferings erschütterte am Dienstag das politische Berlin. Als offizielle Begründung gab der 67-Jährige "familiäre Gründe" an. Die Krebserkrankung seiner Frau, der 61-jährigen Ankepetra Müntefering, war schon länger bekannt. Erst kürzlich hatte der Arbeitsminister deswegen eine Sitzung des Koalitionsausschusses abgesagt. Dennoch blieb der gebürtige Sauerländer auch zum Ende seiner politischen Laufbahn seinem Ruf treu, Entscheidungen hartnäckig und geradlinig zu treffen und dabei stets für eine Überraschung gut zu sein.

 (DR)



Stütze der Koalition
Mit dem Abschied Münteferings nach nur zwei Jahren im Amt gerät die große Koalition in schweres Fahrwasser. Der Vizekanzler galt als das zentrale Bindeglied der Sozialdemokraten zu Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), mit der er lange vertrauensvoll zusammenarbeitete. Am Dienstagmorgen hatte sich der Arbeitsminister in einem Rundfunkinterview allerdings "empört" über die Absage Merkels an einen Mindestlohn bei der Post geäußert. "Tief enttäuscht" warf Müntefering der Union "blanke Lobby-Politik" vor.

Über seinen Rücktritt aber sprach er noch am Morgen kein einziges Wort. Und es war nicht das erste Mal, dass Müntefering das politische Berlin komplett überraschte. Erinnerungen wurden wach an seinen plötzlichen Abgang als SPD-Vorsitzender Ende Oktober 2005. Nicht einmal zwei Jahre lang hatte er das "schönste Amt neben dem Papst" inne. Dann warf er unerwartet das Handtuch, als der Parteivorstand für die SPD-Linke Andrea Nahles als künftige Generalsekretärin votierte statt für seinen Kandidaten.

Bescheidenheit und harte Arbeit
Überraschend war das auch deshalb, weil "Münte" stets als pflichtbewusster Parteisoldat galt. Als Mann mit sozialdemokratischem Stallgeruch, dessen Glaubwürdigkeit in der Partei ebenso unbestritten war wie seine Loyalität. Immerhin hatte er zuvor das Kunststück fertig gebracht, ab 1995 gleich unter drei seiner Amtsvorgänger - Rudolf Scharping, Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder - als quasi zweiter Mann der Partei zu dienen: Erst als Bundesgeschäftsführer und schließlich unter dem neu geschaffenen Titel des "SPD-Generalsekretärs", bis er schließlich im Herbst 2002 den SPD-Fraktionsvorsitz übernahm, im März 2004 SPD-Chef wurde und vor zwei Jahren Stellvertreter von CDU-Kanzlerin Angela Merkel.

Einen "westfälischen Dickschädel" nennen die Leute an Rhein und Ruhr einen wie Müntefering, der als letzter "Blaumann" im Willy-Brandt-Haus stets für Bescheidenheit und harte Arbeit stand. Das war es, was die einfachen SPD-Mitglieder an ihm schätzten, auch wenn Müntefering, der sich nach eigenem Bekunden nur "unter Schmerzen" zum überzeugten Reformer gewandelt hatte, die "Agenda 2010" von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder stets verbissen verteidigte.

Als letzter großer politischer Auftritt vor seinem Rücktritt wird nun die Rede des Vizekanzlers auf dem Hamburger SPD-Parteitag vor gut zwei Wochen in Erinnerung bleiben. Dabei zeigte sich, dass der 1966 in die SPD eingetretene Volksschüler und gelernte Industriekaufmann die Seele der Genossen kannte wie wohl kein anderer. Müntefering, der vor dem Parteitag eine Niederlage im Streit mit Parteichef Kurt Beck in der Debatte um das Arbeitslosengeld I hatte hinnehmen müssen, konnte die 500 Delegierten mit einer mitreißenden Rede begeistern. "Es ist noch was da, ich bin noch nicht ausgetrocknet", lautete seine umjubelte Botschaft. Auf der Berliner Bühne wird "Münte" nun eine schmerzliche Lücke hinterlassen.