Kurienkardinal Kasper zieht Bilanz seiner Jerusalem-Reise

"Wir dürfen die Christen hier nicht enttäuschen"

Eine Woche lang hat der vatikanische Ökumene-Minister Walter Kasper das Heilige Land besucht. Dabei traf er den israelischen Staatspräsidenten, Vertreter aller christlichen Kirchen sowie Repräsentanten jüdischer Organisationen zu Gesprächen. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) äußerte er sich am Donnerstag in Jerusalem zur Lage der Christen, zu den aktuellen Problemen bei der Visa-Erteilung sowie zur Ökumene.

 (DR)

KNA: Die Situation der Christen im Heiligen Land war Thema und Anliegen Ihrer Reise nach Jerusalem und Bethlehem. Was ist Ihr Eindruck nach den Begegnungen und Gesprächen?

Kasper: Die Christen sind eine kleine, aber wichtige Minorität im Heiligen Land, die seit den Anfängen der Kirche hier präsent ist und die heute eine wichtige Rolle für den Frieden spielen will.
Und das können sie auch, zumal sie die Weltkirche hinter sich haben. Die Christen sind auffallend aktiv. Mich hat sehr beeindruckt, wie viele junge Palästinenser am Sonntag an der Festmesse der "Maria - Patronin Palästinas" im Heiligtum Deir Rafat teilnahmen. Das war für mich eine tief bewegende Erfahrung.

Freilich leiden die Christen in den besetzten Gebieten wie ihre Landsleute unter den aktuellen politischen Bedingungen, unter Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrise, eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten. Es ist eine triste Situation. Die Kirche spielt für viele Christen des Heiligen Landes eine ganz große Rolle. Wir dürfen sie nicht enttäuschen, sondern müssen ihnen deutlich machen, dass wir für sie eintreten. Mich hat überrascht, wie bei meinem Besuch in der Katholischen Universität von Bethlehem die jungen Leute, Frauen und Männer, Muslime und Christen verschiedener Denominationen in Freundschaft miteinander verbunden waren. Das lässt hoffen auf die Zukunft und auf ein besseres Zusammenleben.

KNA: Seit einem Jahr erlebt das Heilige Land einen Pilger- und Touristenansturm, der Devisen ins Land bringt und der auch den Christen zu gute kommt.

Kasper: Ich war überaus freudig überrascht, wie viele Pilger derzeit da sind. Die Christen empfinden die Besuche ihrer Mitbrüder als große Unterstützung - wirtschaftlich wie geistlich
- die ihnen Mut macht. Umgekehrt öffnet die Begegnung mit den Heiligen Stätten auch dem Besucher eine tiefe geistliche Erfahrung. Wir können nur hoffen, dass nicht neue Rückschläge kommen, politische oder terroristische. Das würde diese positive Entwicklung sofort wieder stoppen. Nicht leugnen kann man freilich, dass beim Pilgeransturm neben religiöser Sehnsucht durchaus auch touristische Interessen von vielen Seiten mitspielen.

KNA: Kann die verbesserte Wirtschaftssituation den Abwanderungstrend der Christen im Heiligen Land bremsen?

Kasper: Die Abwanderung ist eine der ganz großen Besorgnisse des Papstes und des Vatikan - und sollte es für alle Christen sein.
Hier lebten Christen vom ersten Jahrhundert an. Und wenn wir die Heiligen Stätten besuchen, wollen wir nicht tote Steine sehen, sondern auch lebendigen Gemeinden begegnen. Stoppen kann man das durch eine Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse in den palästinensischen Gebieten. Aber es muss auch eine politische Verbesserung mit Zukunftsperspektiven geben. Dazu müssen wir als Kirche und als Christen mithelfen, so gut wir können. Vieles geschieht durch das katholische Schulwesen. Die Christen unterhalten hier zahlreiche Schulen mit anerkannt gutem Niveau.
Auch Präsident Shimon Peres hat mir noch einmal bestätigt, dass die christlichen Schulen die besten sind.

KNA: Wie war Ihr erstes Treffen mit dem neuen Präsidenten ?

Kasper: Der Präsident hat einen sehr guten Eindruck auf uns alle gemacht. Es ist ein Präsident, der sehr sachlich über den Parteien steht, der eine Vision hat; ein weise gewordener Mann, der sehr schnell die Probleme versteht. Wir haben ihm einige unserer Probleme vorgetragen, und er hat großes Verständnis geäußert. Er ist jedoch nicht selbst für die Administration zuständig, hat uns aber versprochen, uns zu helfen, insbesondere in der schwierigen Visa-Frage. Und er hat versichert - das war für mich ganz wichtig: Die Christen gehören hierher; sie sind willkommen. Jerusalem muss eine offene Stadt für alle Religionen sein, vor allem für die drei monotheistischen Religionen.

KNA: Sie nannten das Problem der Visa für Geistliche. Es schien zwischenzeitlich gelöst, ist aber wieder aufgebrochen.

Kasper: Seit ungefähr einem Jahr gelten neue restriktive Regelungen für den Klerus, den der Katholiken wie auch anderer Kirchen. Geistliche aus arabischen Ländern erhalten neuerdings kein Mehrfach-Visum mehr. Nach einer Ausreise aus Israel oder aus den besetzten Gebieten müssen sie die mühsame Prozedur für eine Wiedereinreise neu starten. Das schafft enorme Probleme - zumal das Lateinische Patriarchat neben Israel und den Palästinenser-Gebieten auch Jordanien und Zypern umfasst. Und zum Ortsklerus des Patriarchats gehören auch etliche Priester aus anderen arabischen Ländern. Zu den bürokratischen Hindernissen kommen die mitunter demütigenden Erfahrungen, die die Kleriker an den Checkpoints machen.

Natürlich verstehen und respektieren wir das Sicherheitsbedürfnis Israels. Aber es handelt sich hier um Leute, für die die katholischen Kirche als Institution geradesteht. Das sind keine Attentäter. Im Übrigen hat Israel dem Vatikan im Grundlagenvertrag Unterstützung bei der seelsorglichen Betreuung der Gemeinden garantiert. Dieser Vertrag wurde 1993 vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Israel abgeschlossen. Somit verstoßen die Maßnahmen gegen diesen Grundlagenvertrag. Wir werden alles versuchen, um Israel zu einer Verbesserung der Situation zu bewegen.

KNA: Sie hatten hier ökumenische Kontakte. Wie waren Ihre Begegnungen jetzt in Jerusalem mit den Vertretern der anderen Kirchen?

Kasper: Traditionell sind ökumenische Begegnungen im Heiligen Land nicht einfach - man denke nur an die Auseinandersetzungen um die Grabeskirche oder die Geburtskirche. Das hat sich entscheidend geändert. Ich konnte jetzt mit Vertretern von Altorientalen, Orthodoxen, Anglikanern und Lutheranern an einem Tisch zusammensitzen, um anstehende Probleme gemeinsam und offen zu erörtern. Das hat mich sehr bestärkt. Offenbar hat sich inzwischen auf allen Seiten der Eindruck durchgesetzt, dass die Christen in der jetzigen Situation nur gemeinsam gewinnen oder verlieren können. Ein anderer Aspekt ist, dass alle viel von Rom, vom Heiligen Stuhl erwarten - als von einer Stelle, die die Möglichkeit hat, für alle zu sprechen. Es ist ja generell die Linie des Heiligen Stuhls, dass wir nicht für uns allein Politik machen, sondern uns für alle Heilig-Land-Christen einsetzen.

KNA: Wie stehen die Chancen für einen Papstbesuch?

Kasper: Der Heilige Vater ist ins Heilige Land eingeladen, und er hat den großen Wunsch, hierherzukommen und die Christen zu treffen. Aber solange die Verhältnisse so angespannt sind wie im Moment, ist das nicht möglich. Entspannung ist auch nötig in der Visa-Frage oder in den noch offenen Verhandlungen zwischen Israel und dem Heiligen Stuhl. Und natürlich möchte der Papst, wenn er hierher kommt, auch die Christen treffen, die in den palästinensischen Gebieten wohnen. Das heißt, sie müssen Zugang nach Jerusalem haben. Anderenfalls kann er nicht kommen, denn das wäre für die Gläubigen eine große Enttäuschung. Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, wird der Papst sicher ins Heilige Land reisen, wie sein Vorgänger auch. Einen Termin gibt es aber noch nicht.

Interview: Johannes Schidelko (KNA)