Europa-Experten im domradio zu den Parlamentswahlen in Polen

Aufatmen in Polen und Europa

Europäische Politiker begrüßen die Ergebnisse der Parlamentswahlen in Polen. EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering sprach von einem guten Signal. "Ein Aufatmen geht durch Europas Hauptstädte", glaubt Dominik Hierlemann, Europaexperte der Bertelsmann Stiftung, im domradio-Interview und sagt gleichzeitig neue Schwierigkeiten voraus. Insgesamt herrsche eine "Stimmung der Freude und des Ausatmens im Land, dass es nun eine neue Perspektive gebe", beschreibt Stephan Raabe, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung, im domradio die derzeitige Stimmung in Polen.

 (DR)

Donald Tusk habe seine Zurückhaltung im öffentlichen Auftritt abgelegt und habe damit "eine grandiose Wendung" im Wahlkampf gegen Kaczynski herbeigeführt. Gleichzeitig habe er der PO zu einem "unverhofften Aufschwung" verholfen. "Das hat ihm letztlich den Wahlsieg gebracht", sagt Raabe. "Er hat Kaczynski als mächtigen, politischen Strategen entzaubert", so Raabe.
Es sei sehr zu hoffen, dass der Staatspräsident jetzt auch als solcher agiere und dem Wahlergebnis "zum Wohle Polens" Akzeptanz entgegenbringe.

Bei den vorgezogenen Wahlen am Sonntag hatte der bisherige Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski eine herbe Niederlage einstecken müssen.  

Steinbach: Wahlsieg in Polen könnte Beziehungen "entkrampfen"
Lech Kaczynski, der Bruder des scheidenden Premierministers, bleibt Staatspräsident - und damit auch an der außenpolitischen Gestaltung seines Landes beteiligt. Hierlemann im domradio: "Es ist nicht ganz das Ende der Zwillingsherrschaft. Wie die Machtverteilung zwischen Tusk und Kaczynski aussehend wird, ist noch nicht klar. Da wird es sicherlich noch zu Schwierigkeiten kommen."

Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV), Erika Steinbach, begrüßt den Wahlsieg der liberalen Bürgerplattform unter Spitzenkandidat Donald Tusk bei der Parlamentswahl in Polen. Dies sei gut für Polen, Deutschland und Europa, sagte Steinbach am Montag im ZDF-"Morgenmagazin". Sie hoffe, dass sich das deutsch-polnische Verhältnis dadurch "entkrampft". Sie habe kein Problem mit Polen, die Ressentiments seien bisher von polnischer Seite gekommen.

Steinbach erneuerte zugleich die umstrittene Forderung nach einem "Zentrum für Vertreibungen" in Berlin. Dabei gehe es um einen Teil der Geschichte, die bisher nicht aufgearbeitet worden sei. Polen würde sich "einen großen Gefallen tun", wenn es offen mit dem Thema umgehe und den Dialog suche.

Wenn die Priester Agitation betreiben würden…
Vorausgegangen war ein mehrstündiger Wahlkrimi. Im Wahlkampf hatte die Katholische Kirche unentschlossenen Wählern kaum eine Entscheidungshilfe geboten. Äußerst strikt achteten Polens Bischöfe auf Neutralität im Wahlkampf. Wenn ein Priester im Gottesdienst eine Partei empfehle, sollten die Gläubigen dies dem Ordinariat melden, hieß es in den Wochen davor etwa in der Erzdiözese Krakau. Der Pressesprecher von Krakaus Erzbischof Stanislaw Dziwisz warnte: "Wenn die Priester Agitation betreiben würden, müssen sie mit einer entschiedenen Reaktion der Vorgesetzten rechnen."

Andere Geistliche befürchteten, der Klerus würde sich durch eine Wahlempfehlung nur selbst schaden. "Die Kirche kann auf diese Weise unabsichtlich die Verantwortung für die Sünden und die Unfähigkeit der Regierenden übernehmen", meinte etwa der für die Journalisten-Seelsorge zuständige Priester Andrzej Luter.

Neue Zeiten
Die Zeiten, in denen die Kirche vor Wahlen Partei für Kandidaten ergriff, sind in Polen längst vorbei. Insbesondere für Staatspräsident Lech Walesa sprachen sich früher zahlreiche Geistliche aus. Doch geholfen hat das dem Friedensnobelpreisträger nicht. Er verlor 1995 klar gegen den Ex-Kommunisten Aleksander Kwasniewski.

Anderen erging es ähnlich schlecht: Die Wahlempfehlung durch einen Pfarrer habe im vergangenen Jahr einem Bürgermeisterkandidaten in der Erzdiözese Krakau sogar eine herbe Wahlniederlage beschert, sagte Luter. Die Kirchenleitung mahnte den Pfarrer wegen der Wahlwerbung ab.

Sympathien für Kaczynski
Der Partei von Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski stand ohne Zweifel auch der Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz, Jozef Michalik, nahe. In einem Interview der Kirchenzeitung "Niedziela" verteidigte er massiv die Regierung gegen die Kritik der Opposition. Kardinal Dziwisz werden dagegen Sympathien für die rechtsliberale Oppositionspartei Bürgerplattform (PO) nachgesagt. Beide waren allerdings in der Öffentlichkeit Distanz zu den Parteien.

Keine Partei habe das Recht, im Namen der Kirche zu sprechen oder sich auf ihre Unterstützung zu berufen, hieß es in einem in allen Kirchen verlesenen Hirtenbrief. Geistliche und katholische Medien sollten "sich im Wahlkampf nicht für eine konkrete Seite engagieren", so die Bischöfe.

Streit um "Radio Maryja"
Der Aufruf scheint zu wirken. Der bedeutende Kirchensender "Radio Maryja" fuhr auch keine Kampagne für Kaczynskis PiS wie noch vor den Wahlen 2005, als er maßgeblich zu deren knappen Wahlsieg beitrug. In den Schlagzeilen war das mit einer Million Hörern fünftgrößte Hörfunkprogramm Polens nun dennoch. Es ging darum, ob Kaczynskis Herausforderer, der PO-Vorsitzende Donald Tusk, in dem Sender auftreten darf.

Zur Bedingung machte "Radio Maryja"-Chef, Pater Tadeusz Rydzyk, dafür angeblich, dass sich der Oppositionsführer zunächst für einen Wahlkampfspot bei ihm entschuldigt. In dem Spot warf Tusk der Regierungspartei PiS vor, sie kusche vor Rydzyk und halte ihn für "unantastbar". Obwohl der Senderchef den Staatspräsidenten Lech Kaczynski übel beschimpft hatte, hielt dessen Bruder Jaroslaw Kaczynski treu zu ihm. "Ich sehe keinen Grund, Pater Rydzyk als verpestet zu betrachten", sagte der Ministerpräsident kürzlich.

Klarer Vorsprung für Tusk
Die PO wird mit weitem Abstand vor Kaczynskis "Recht und Gerechtigkeit" ins polnische Parlament einziehen. Auch im persönlichen Duell gaben die Wähler klar Tusk den Vorzug: In Warschau holte der Oppositionsführer 47 Prozent, Jaroslaw Kaczynski dagegen nur 21 Prozent der Stimmen.

Nach Lage der Dinge stehen der Bürgerplattform jetzt gleich mehrere Optionen offen, eine Mehrheit ohne die Kaczynski-Partei zu finden: entweder mit dem Linksbündnis LiD um Ex-Staatspräsident Kwasniewski oder - was als am wahrscheinlichsten gilt - mit der moderaten Bauernpartei PSL, die überraschend klar die 5-Prozent-Hürde übersprang.