SPD findet keinen Kompromiss beim Arbeitslosengeld

Machtkampf geht weiter

Ein Krisengespräch zwischen Parteichef Kurt Beck und Vizekanzler Franz Müntefering in Mainz ist nach zwei Stunden beendet. Ein Kompromiss konnte dem Vernehmen nach nicht gefunden werden. Man habe sich aber grundsätzlich auf ein Konzept für ein sozialpolitisches Gesamtpaket verständigt.

 (DR)

Die SPD-Spitze hatte im Streit um das Arbeitslosengeld I eine "Lösung auf Basis des Vorschlags von Kurt Beck" angestrebt. Die Vorschläge Münteferings, die Bezugsdauer durch Fortbildungsmaßnahmen zu verlängern, sollten darin aber "einbezogen" werden, um die ursprünglichen DGB-Pläne um "aktivierende Maßnahmen" zu "ergänzen". Die beiden Kontrahenten konnten sich aber nicht auf solch ein gemeinsames Konzept verständigen.

Bei dem Treffen in Mainz, an dem auch SPD-Fraktionschef Peter Struck teilnahm, sei über ein Neun-Punkte-Papier gesprochen worden, sagte Beck am Dienstag nach dem Gespräch. In acht Punkten bestehe Übereinstimmung, in der Frage des längeren Arbeitslosengeldes habe es allerdings keine Einigung gegeben. Nun solle das sogenannte DGB-Modell, das eine längere Bezugsdauer für Ältere vorsieht, am kommenden Montag den Parteigremien vorgelegt werden.

Müntefering räumt Niederlage ein
Vizekanzler Franz Müntefering sieht sich im Streit um die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I in der SPD auf verlorenem Posten. "Kurt Beck wird seinen Vorschlag im Parteivorstand und auf dem Parteitag im Hamburg präsentieren. Ich habe keinen Zweifel, dass die Partei ihm folgen wird", sagte Müntefering der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Mittwochausgabe).

Auf die Frage, ob er diese Position dann als Arbeitsminister im Kabinett vertreten werde, sagte Müntefering, am 4. November werde Beck mit der Kanzlerin und CDU-Vorsitzenden Angela Merkel über die Sache in der Koalitionsrunde reden. Der Vizekanzler fügte hinzu, die Koalition müsse dann erst einmal über ihre Differenzen in der Ausgestaltung verhandeln. "Dann wird man zu prüfen haben, welche Anpassungen wir vornehmen."

Müntefering räumte ein, dass er bei seinem Gespräch mit Beck und SPD-Fraktionschef Peter Struck in Mainz am Morgen eine Niederlage eingesteckt habe: "Der Parteivorsitzende und ich haben in diesem Punkt unterschiedliche Meinungen. Hier gab es keinen Kompromiss. Ich hätte es für sinnvoller gehalten, das Geld, das wir jetzt wieder haben, in die Qualifizierung von Arbeitslosen zu stecken und nicht in die Arbeitslosigkeit", bedauerte Müntefering.

Union offen für Änderungen
Bundeskanzlerin Merkel hatte sich für Veränderungen bei der Bezugsdauer des Arbeitslosengelds I offen gezeigt. Diese müssten aber kostenneutral geschehen, hatte Merkel gefordert - und damit eine Kürzung bei Jüngeren zu Gunsten Älterer angedeutet.

Die CDU-Pläne, das Arbeitslosengeld I für Ältere zu verlängern, dafür aber im Gegenzug für Jüngere zu kürzen, bezeichnete SPD-Generalsekretär Hubertus Heil als "aberwitzige Rechnung". Die Arbeitslosenversicherung sei eine Risiko- und keine Ansparversicherung.

Der sozialpolitische Sprecher der CSU im Bundestag, Max Straubinger, hält eine Verkürzung des Arbeitslosengeldanspruchs bei Jüngeren von zwölf auf neun Monate aus rein rechnerischen Gründen für den falschen Ansatz. Dies sei "kein Beitrag Finanzierungsneutralität herzustellen". Bereits jetzt würden 70 Prozent der jüngeren Arbeitslosen in den ersten neun Monaten vermittelt. Eine Kürzung der Bezugsdauer werde bei dieser Gruppe keine Einsparungen bringen, da sie ohnehin die vollen zwölf Monate nicht in Anspruch nehme.

Kein Kurswechsel bei der SPD
Es gehe beim Streit um das Arbeitslosengeld nicht um eine Rücknahme der Agenda 2010 betonte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse. Die SPD habe immer gesagt, dass ein so komplexes Reformwerk wie die Agenda 2010 im Lichte der Erfahrungen nachjustiert werden müsse. Genau das geschehe jetzt. "Becks Vorschlag ist vernünftig und vertretbar. Man sollte ihn nicht denunzieren, indem man den Eindruck erweckt, es gehe um die Zurücknahme der Agenda 2010", sagte der SPD-Politiker. Auch Hubertus Heil betonte, der Vorstoß Becks stelle keine Abkehr von der "Agenda 2010" dar. Am Kern der Reformen werde festgehalten. Die SPD wolle aber "nicht über die Köpfe und Herzen der Menschen hinweggehen".

Unions-Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen (CDU) warnte vor einem Kurswechsel der großen Koalition. Die "Agenda 2010" sei kein fehlerfreies Regelwerk. Es müsse möglich sein, über Einzelfragen zu diskutieren. "Aber wenn es dazu verwendet werden soll, die Büchse der Pandora zu öffnen, dann wäre es etwas anderes, nämlich eine Grundsatzdiskussion über den Kurs. Und der Kurs ist erfolgreich", sagte Röttgen.

FDP-Generalsekretär Dirk Niebel kritisierte: "Die Frage des Arbeitslosengeldes I ist ja mittlerweile zu einer Staatskrise geworden." Seine Partei lehne eine "Politik der Verteilungsmentalität" ab. "Die Bürger fragen völlig zurecht, "Wo ist mein Aufschwung?", fügte Niebel hinzu und forderte erneut Beitragssenkungen.

Links-Fraktionsvize Klaus Ernst forderte eine "deutlich längere Zahlung von ALG I". Grünen-Chefin Claudia Roth warnte dagegen, es werde die "falsche Priorität" gesetzt, wenn die Arbeitsmarktpolitik auf die Frage des ALG I reduziert werde. Das Gesprächsangebot Merkels an die SPD bezeichnete Roth als "vergiftet". Die Kanzlerin spiele "Jung gegen Alt aus".