Experte im domradio: Beziehungen der Länder schon davor gestört

Türkei reagiert empört nach US-Resolution

Die Türkei reagiert empört auf die Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern durch das US-Repräsentantenhaus. Das war zu erwarten, sagt im domradio-Interview Faruk Shen vom Zentrum für Türkeistudien. "Es hakte schon vorher in den Beziehungen der beiden Länder."

 (DR)

"Unser Volk erfährt Trost durch diese Entscheidung"
Trotz Warnungen von US-Präsident George W. Bush hatte der US-Kongress am Mittwoch (Ortszeit) in einer Resolution den türkischen Völkermord an den Armeniern anerkannt. Die Mitglieder eines Ausschusses des Repräsentantenhauses verabschiedeten die Vorlage mit 27 zu 21 Stimmen. Darin wird das Massaker an Armeniern durch türkische Truppen im Ersten Weltkrieg als Völkermord gebrandmarkt. Die symbolische und rechtlich nicht verbindliche Erklärung soll nun Mitte November dem Plenum des Abgeordnetenhauses zur Abstimmung vorgelegt werden.

Der Katholikos aller Armenier, Karekin II., sagte im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): "Unser Volk erfährt Trost durch diese Entscheidung. Wir sind zufrieden, dass die Stimme der Gerechtigkeit gesiegt hat." Das werde ähnliche Verbrechen in der Zukunft verhindern.

Bush hatte die Ermordung von rund 1,5 Millionen Armeniern als eine der größten Tragödien des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Er vertritt jedoch die Auffassung, dass Historiker klären müssten, ob dafür der Begriff Völkermord verwendet werden sollte. Eine Definition per Gesetz sei unangemessen.

Türkei: Traurige Entscheidung
Staatspräsident Abdullah Gül sprach am Donnerstag in Ankara von "kleinmütigen innenpolitischen Spielchen" der Amerikaner, die einer Großmacht schlecht zu Gesicht ständen. Als "verantwortungsloses Verhalten" kritisierte das Außenministerium die Verabschiedung der Resolution im Außenausschuss in Washington. Die freundschaftlichen Beziehungen würden dadurch gefährdet, und das "in einer außerdordentlich sensiblen Zeit".

Sollte das Repräsentantenhaus die Resolution auch im Plenum verabschieden, will die Türkei möglicherweise mit Sanktionen reagieren. Wie türkische Fernsehsender am Donnerstag unter Berufung auf Regierungskreise berichteten, ist für den Fall eine Schließung des türkischen Luftraums für die USA vorgesehen, die 70 Prozent ihres Luftnachschubs für Irak darüber transportieren. Auch ein Einfrieren der Militärbeziehungen wird demnach erwogen; dies würde die USA vor allem in Afghanistan treffen.

Armenier in der Türkei dagegen
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan verwies darauf, dass die türkischen Armenier eine solche Resolution ablehnten. "Der armenische Patriarch der Türkei ist nach Amerika gereist, um das zu erklären, aber man hat ihn nicht reden lassen. Warum? Weil die armenische Diaspora dort Druck macht", so Erdogan. Patriarch Mesrob II. hatte im September an der Georgetown University in Washington einen Vortrag über Wege zur türkisch-armenischen Verständigung halten wollen. Nach Protesten der armenischen Diaspora wurde der Vortrag abgesagt.

Zwischen den Armeniern in der Türkei und der armenischen Diaspora verläuft in der Frage der Anerkennung eines Völkermordes im untergehenden Osmanischen Reich ein tiefer Graben. Während die armenische Dispora in Frankreich, der Schweiz, den USA und anderen Ländern auf eine solche Anerkennung dringt, lehnen viele Armenier in der Türkei sie als kontraproduktiv ab und rufen zur gemeinsamen Aufarbeitung und Verständigung auf. Vom armenischen Patriarchat in Istanbul war am Donnerstag keine Stellungnahme zu erhalten. Patriarch Mesrob II. hat sich aber in der Vergangenheit schon mehrfach dagegen ausgesprochen.