Walter Kempowski starb im Alter von 78 Jahren

Chronist des Bürgertums

Als "Chronist des Bürgertums" wurde der Schriftsteller Walter Kempowski Anfang der Siebziger bekannt. Er gehört noch immer zu den meistgelesenen deutschen Gegenwartsautoren. In der Nacht zum Freitag erlag der 78-jährige einem Krebsleiden.

 (DR)

Gefängnis als "Universität"
Geboren wurde Kempowski 1929 in Rostock als Sohn eines Schiffsmaklers und Reeders. Mit dem Bombenangriff 1942 auf Rostock nahm seine behütete Kindheit ein jähes Ende. Der Krieg warf ihn aus der Bahn. Er schwänzte die Schule, wurde in eine Strafeinheit der Hitler-Jugend eingewiesen, schmiss später die Lehre.

1948 folgte die Verhaftung. Der sowjetische Geheimdienst warf Kempowski Spionage vor, ein Militär-Tribunal verurteilte ihn zu 25 Jahren Haft. Die Gefangenschaft im Zuchthaus Bautzen in Sachsen wurde zum Trauma seines Lebens. Auf engstem Raum mit 400 Männern eingepfercht nannte er das Gefängnis aber auch seine "Universität".

Als Bürgersohn habe er bis dahin nie mit einfachen Leuten Kontakt gehabt, sollte er später berichten. Jetzt lernte er sie kennen. In Bautzen notierte er ihre Schicksale und sammelte Biografien von Arbeitern und Handwerkern, Alten und Kindern. Nach acht Jahren wurde Kempowski vorzeitig aus der Haft entlassen.

"Im Block. Ein Haftbericht"
"Da kommen Sie raus, als ob Sie nicht ganz dicht sind", erinnerte er sich später. Er siedelte aus der DDR nach Westdeutschland über, begann ein Tagebuch und studierte auf Lehramt. In einer kleinen Dorfschule in Breddorf bei Bremen versuchte er, wieder zu sich zu kommen. Das war der Anfang eines Doppellebens: Kempowski entwickelte sich zum leidenschaftlichen Landlehrer, veröffentlichte aber auch bald sein erstes Buch. Unter dem Titel "Im Block. Ein Haftbericht" erschien es 1968 bei Rowohlt.

Für Lesungen und Fernsehauftritte musste er beim Schulrat schriftlich Sonderurlaub beantragen. Dann kam der Durchbruch: 1971 erschien "Tadellöser & Wolff: Ein bürgerlicher Roman". Der Titel stand schon wenig später auf der Bestsellerliste des "Spiegel", wurde verfilmt und mehr als 500.000 Mal verkauft. Eine ganze Generation übernahm die scheinbar unbeschwerten Sprüche der Tadellöser. "Ansage mir frisch", "Kinder, wie isses nun bloß möglich" und "gut dem Dinge" wurden zu geflügelten Wörtern.

Dass die Literaturkritik Kempowski als "Chronist des Bürgertums" einordnete, ging aber vor allem auf dessen sechsbändige "Deutsche Chronik" zurück, die zwischen 1971 und 1984 entstand. Durch diese Reihe wurde er zu einem der erfolgreichsten deutschen Schriftsteller der Gegenwart.

"Echolot. Ein kollektives Tagebuch"
Ein Teil der Kritiker verdächtigte Kempowski allerdings, er wolle mit seinen Romanen die Nazi-Zeit verharmlosen. Der Autor Harald Wieser bezeichnete ihn 1990 im "Stern" als "Buchhalter des deutschen Gemüts, der sogar noch dem Leben unter der Hitlerei vor allem gemütliche Seiten abzugewinnen verstand". Kempowski fühlte sich missverstanden.

1993 erschien das mehrbändige "Echolot. Ein kollektives Tagebuch" über die ersten 60 Tage des Jahres 1943. Die Komposition aus Tagebüchern, Briefen, Memoiren und Fotografien wurde zur Sensation.

Das Werk speiste sich aus Kempowskis Archiv, in dem er 300.000 Fotos und 7.000 unveröffentlichte Biografien hortete. Zu seinen weiteren Hauptwerken zählten die Romane "Uns geht's ja noch Gold" (1972) sowie die Tagebücher "Sirius" (1990) und "Alkor" (2001).
Zahlreiche Auszeichnungen
Literaturwerkstätten und "Sommerclubs" für Kinder brachten Scharen von Literatur-Interessierten in sein ländliches "Haus Kreienhoop" in Nartum bei Bremen. Ein Schlaganfall Ende 1991 konnte Kempowski in seiner Schaffenskraft kaum zurückwerfen. Sein letztes Buch "Alles umsonst" erschien 2006.

Kempowski erhielt zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem das Große Bundesverdienstkreuz, den Hörspielpreis der Kriegsblinden und 2005 den internationalen "Corine"-Buchpreis. Die ganz große Anerkennung blieb ihm nach eigener Wahrnehmung jedoch versagt. Noch vor wenigen Monaten gab Kempowski dem Literaturbetrieb eine Mitschuld an seiner Darmkrebs-Erkrankung. "Ich bin vergiftet worden", sagte er. "Ich habe mal zehn Jahre lang, in meiner besten Zeit, keinen Literaturpreis bekommen, das geht doch eigentlich gar nicht."