Sonderweg in der EU soll Regierungspartei den Wahlsieg bringen

Polen, die Todesstrafe und die EU-Grundrechtecharta

Zuerst das Nein zur Grundrechtecharta der EU, dann das Veto gegen einen "Europäischen Tag gegen die Todesstrafe". Polens Regierung schlägt in der EU einen Sonderweg ein. Aus anderen Mitgliedstaaten hagelt es Proteste gegen Warschaus Kurs. Aber Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski wolle so in gut vier Wochen die Parlamentswahlen gewinnen, meinen Experten. "Von diesen europapolitischen Schritten versucht Kaczynski im Wahlkampf zu profitieren", sagt der Krakauer Politologe Piotr Buras der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA).

Autor/in:
Oliver Hinz
 (DR)

Der konservative Politiker habe dabei vor allem die Wähler am rechten Rand und der populistischen Partei "Selbstverteidigung"
im Blick. Und die Erfolgsaussichten seien dabei relativ groß, meint Buras.

An Polens Veto war am Dienstag in Brüssel die Ausrufung des 10.
Oktober zum "Europäischen Tag gegen die Todesstrafe" gescheitert.
Justizminister Zbigniew Ziobro erklärte in polnischen Medien:
"Wir wollen keinen solchen symbolischen Tag, sondern eine Diskussion über die Todesstrafe." Zugleich bekannte der Minister, er sei ein Anhänger dieser Strafe, wolle sie jedoch nicht einführen - aus Rücksicht auf die EU. Einen Proteststurm löst der Minister damit in Polen nicht aus.

Einzig die Sozialdemokraten und die polnische Helsinki-Stiftung für Menschenrechte kritisierten die Blockade des Gedenktages gegen die Todesstrafe. Die konservative Tageszeitung "Rzeczpospolita" wertete Polens Veto als die richtige Antwort auf die linken und liberalen Kräfte, die Europa ihre Ideologie aufzwingen wollten. Und: Die Mehrheit der Polen befürwortet die Möglichkeit von Hinrichtungen. Im März sprachen sich in einer Umfrage des Instituts CBOS 63 Prozent für eine Anwendung der Todesstrafe aus. Auch Staatspräsident Lech Kaczynski hatte in der Vergangenheit betont, er sei immer ein Befürworter der Todesstrafe gewesen und werde dies auch bleiben.

Auch bei der EU-Grundrechtecharta geht Polen einen Sonderweg. Für seine Vorbehalte in dieser Frage bekommt das Land auch Rückendeckung von der Kirche. Kardinal-Staatssekretär Tarcisio Bertone betonte am Wochenende auf einer Konferenz in Krakau die Wertschätzung des Heiligen Stuhls über Warschaus Position auf dem EU-Gipfel im Juni. In einer einseitigen Erklärung Polens hieß es damals, die Charta beeinträchtige nicht das Recht der Mitgliedstaaten, im Bereich der öffentlichen Moral, des Familienrechts und bei der Achtung der menschlichen Unversehrtheit Gesetze zu verabschieden.

Damit nahm Polen Kritik auf, die es schon in der Vergangenheit aus der katholischen Kirche an der EU-Grundrechtecharta gab. Als das Dokument im Dezember 2000 von den EU-Staats- und Regierungschefs proklamiert wurde, mahnte auch Papst Johannes Paul II., die Charta sei beim Schutz der Familie und des Lebens nicht mutig genug. Die polnischen Bischöfe hielten sich jedoch in dieser Frage bisher auffallend zurück. Und Warschau hat sich mit seiner Haltung zur Grundrechtecharta bislang nicht auf die Kirche berufen.

Das Hauptargument der Regierung gegen das Dokument ist, dass es das polnische Familienrecht bedrohe. Warschau warnt, Homosexuelle könnten durch den Grundrechtekatalog in Polen gleichgeschlechtliche Ehen durchsetzen. Zudem begünstige die Charta die Eigentumsforderungen deutscher Vertriebener gegen Polen. "Absurd" findet Politologe Buras diese Argumente. Die Grundrechtecharta stärke die Bürger gegenüber den EU-Institutionen, aber zwinge den Mitgliedsstaaten nichts auf.
Gleichwohl sei es für die EU keine Katastrophe, wenn Polen der Charta nicht beitrete, meint er. Die EU sei in ihrer Geschichte bereits mit Ausnahmeklauseln für andere Staaten zurechtgekommen.

Auf einem "Weg, der aus der EU hinausführt" sieht Polen indes der Warschauer Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung, Stephan Raabe. Es sei durchaus möglich, dass der Ministerpräsident den kommenden informellen EU-Gipfel kurz vor den polnischen Wahlen blockiere, sagte Raabe der KNA. "Ich befürchte, dass er ihn für den Wahlkampf missbraucht und behauptet, die EU trete die polnischen Interessen mit Füßen."