Kölner Kardinal bedauert entstandene "Missverständnisse" - Paul Badde nennt Angriffe auf Erzbischof "infam"

"Hysterie" rund um ein Missverständnis?

In der Debatte um die umstrittende Predigt des Kölner Kardinals zur Kultur verstärkt sich der Eindruck, dass der Erzbischof durch bewusst falsche Deutungen beschädigt werden sollte. Im domradio nennt der Rom-Korrespondent der "Welt", Paul Badde, die Vorgänge "perfide und infam". Es handele sich um Hysterie und Niederträchtigkeit rund um eine Falschmeldung. Meisner hatte ausdrücklich bedauert, dass das von ihm gebrauchte Wort "entartet" Anlass zu "Missverständnissen" gegeben habe.

Seit 1983 Kardinal: Erzbischof Joachim Meisner (DR)
Seit 1983 Kardinal: Erzbischof Joachim Meisner / ( DR )

In einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schreibt der Erzbischof, er habe den von den Nationalsozialisten missbrauchten Begriff der "Entartung" gebraucht, um "gegen alle Formen totalitärer Kulturen" zu sprechen und sie "mit ihrem eigenen Vokabular zu kennzeichnen und zu entlarven". Durch die Menschwerdung Gottes werde jeder Mensch vom Glanz Gottes berührt und geprägt. Deshalb sei es eine große "Pervertierung" des Menschen, "wenn er diese Identifikation auf Gott hin vergisst und dadurch zum Ohne-Gott oder gar zum Antigott wird, wie wir es in der Geschichte des 20. Jahrhunderts in Europa in grausamster Weise erleben mussten".

Kultus und Kultur - im Sinne von Gottesverehrung und Gesellschaft - nähmen Schaden, wenn Gott nicht mehr in der Mitte stehe. Für die Substanz seiner Aussage sei der Begriff nicht notwendig gewesen, so Meisner in der FAZ.

Zentralrat der Juden begrüßt Klarstellung
Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat die Klarstellung Meisners begrüßt. Sein Bedauern sei für einen Mann in seiner Position eine "Riesenleistung", sagte der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan Kramer, der "Kölnischen Rundschau" (Mittwochsausgabe). Der Vorwurf, Meisner sei ein geistiger Brandstifter, sei damit "vom Tisch". Er habe sich allerdings gewünscht, es wäre erst gar nicht zu diesem Missverständnis gekommen, betonte Kramer.
Der Kölner Schriftsteller Ralph Giordano dagegen sieht den Erzbischof durch seine Erklärung nicht entlastet. "Ich finde, das Wort 'entartet' wird auch in dem Zusammenhang, in den es der Kardinal jetzt in seiner 'Entschuldigung' gesetzt hat, nicht besser", schreibt Giordano in der "Kölnischen Rundschau". Meisners Auffassung, Kunst sei ohne Gottesnähe nicht möglich, nannte der Schriftsteller "empörend und inquisitorisch".
Geplante Aufregung? Badde: Wortpolizei
Medienexperten äußern nun den Verdacht, dass die empörten Resonanzen gezielt von den Medien gesteuert worden seien. Schließlich sei der Predigttext schon im Vorfeld bekannt gewesen. "Da hat wohl jemand darauf gewartet, welche Worte wie fallen, um dann vorproduzierte Reaktionen rauszupusten. Da kann man doch dran fühlen", meinte ein Experte im Hintergrundgespräch mit domradio. "Ansonsten hätte man schon Tage vorher Missverständnissen vorbeugen können." Auch Mennekes äußerte im Interview den Verdacht, er hätte das Gefühl gehabt, " da wird jetzt wieder einer gejagt".
In verschiedenen Online-Medien waren unmittelbar nach dem Gottesdienst ausführliche Reaktionen der Empörung aufgetaucht. Paul Badde spricht in der "Welt" vom Mittwoch von einer Wortpolizei: "Saß da nun wirklich jemand mit einer Art digitalem Scanner, dessen Worterkennung automatisch aufleuchtete, sobald im Dom ein Wort fiel, das aus dem Wörterbuch korrekter oder „gerechter" Sprache" heraus fällt - unabhängig von jedem Zusammenhang? Am Freitag muss es in Köln wohl so gewesen sein. Gute Nacht, wenn solche Wortpolizisten demnächst in jeder Moschee, Synagoge und Kirche sitzen. Bei dem Wörtchen "entartet" war die Maschine jedenfalls angesprungen. Schon am Abend überschlugen sich die fiebrigen Kommentare zu Meisners Verdammung „entarteter Kunst". Er hat den Ausdruck nicht einmal in den Mund genommen. Doch egal, Meisner - na klar - muss es wohl so gemeint haben."
Auch der Kölner Generalvikar, Dr. Dominik Schwaderlapp, äußerte am Tag nach des "Vorfalls" im domradio und am Sonntag bei seiner Predigt im Kölner Dom, "auch ein Kardinal Meisner" müsse mit einem Mindestmaß an Wohlwollen begleitet werden um richtig verstanden werden zu können.
Bischöfe: Zusammenhang von Kultur und Kultus
Ruhrbischof Felix Genn sowie der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst zeigten zwar Unverständnis über die Verwendung des Begriffs "entartet" durch Meisner. Genn und Fürst nahmen den Kardinal fachlich aber auch in Schutz.
Meisner habe eigentlich nicht "entartete Kunst" im nationalsozialistischen Sinne gemeint, sondern "Kunst, die aus der Art schlägt", sagte Genn. "Was Meisner sagen wollte, ist, dass Kunst, die den Transzendenz-Bezug vermissen lässt, Kopf und Hirn fehlt", erläuterte Genn. Kunst ohne Gottesbezug sei weder herzlich noch vernünftig.
Fürst sagte, der Kern und das Fundament jeder Kultur sei die Religion. Auch gebe es eine tiefe innere Nähe zwischen der Religion und der Kunst. In beidem bringe der Mensch seine Beziehung zur Transzendenz zum Ausdruck und versuche, das Unsagbare in Bildern, Gleichnissen und zeichenhaften Handlungen zum Ausdruck zu bringen. Er verstehe das Anliegen Meisners, der den Zusammenhang von "Kultur und Kultus" betont habe, in diesem Sinne und könne es in dieser Interpretation bejahen.
Mixa: Kritik an Kardinal Meisner ist unredlich
Der Bischof von Augsburg, Dr. Walter Mixa, hat die Kritik am Kölner Kardinal Joachim Meisner als „überzogen und unredlich" kritisiert. Der Kardinal, der in der ehemaligen DDR selbst Unterdrückung erlebt habe, sei über jeden Verdacht erhaben, das Vokabular der Nazi-Zeit hoffähig zu machen oder mit entsprechenden Aussagen provozieren zu wollen. In Zusammenhang mit seiner Predigt zur Eröffnung des Kölner Diözesanmuseums habe Kardinal Meisner deutlich machen wollen, dass menschliche Kultur und Zivilisation ihren Maßstab verlieren, wo die Letztverantwortung vor Gott einer zunehmenden Gottvergessenheit weicht. Meisner habe Recht mit seiner Aussage, dass die Abkoppelung der Kultur von Gott zum Verlust ihrer Mitte führt. "Besonders bedauerlich ist es, wenn sich in einer solchen Kampagne auch führende Katholiken dazu hergäben, dem Kardinal in den Rücken zu fallen, ohne sich auf die Sinnaussagen der Predigt zu beziehen", kritisierte Mixa mit Blick auf katholische Stimmen, die sich von Meisner distanziert hatten.

"Statt auf Meisner einzuschlagen sollte man lieber angesichts einer weltweit wachsenden Religiosität die vom Kardinal angestoßene Diskussion über die Rückbindung der Kunst an religiöse und ethische Normen führen. Dies könne auch einen wichtigen Beitrag zum interreligiösen und interkulturellen Dialog leisten", forderte Mixa. Die Kirche sei in diesem Dialog unbestritten weltweit führend, so der Augsburger Oberhirte.

Katholische Gruppierungen unterstützen Kardinal
Zustimmung erhielt der Kölner Erzbischof durch mehrere als konservativ geltende katholische Gruppierungen. Man sei Meisner dankbar, "dass er in dieser schnell vergesslichen Zeit auf die Gefahren der Gottvergessenheit hinweist", heißt es in einer in Kaufering verbreiteten Erklärung des Forums Deutscher Katholiken, der Aktionsgemeinschaft katholischer Laien und Priester, der Bruderschaft Petrus und Paulus sowie der "Jugend 2000". Es sei inakzeptabel, den Kardinal dafür als "geistigen Brandstifter" zu bezeichnen.

Meisner hatte am Freitag im Kölner Dom gesagt, wo die Kultur von der Gottesverehrung abgekoppelt werde, erstarre der Kultus im Ritualismus "und die Kultur entartet." "Entartete Kunst" ist ein von den Nationalsozialisten geprägter abwertender Begriff für moderne Kunst, die sich nicht in das Kunstverständnis der NS-Ideologie einfügte. Die Predigt hatte für großes Empörung bei Politik, Kultur, Kirchen und Medien gesorgt.

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