Fünf Millionen Zuschauer sahen die Premiere von "Anne Will" im Ersten

Kontinuität am Sonntagabend

5,04 Millionen Zuschauer, Marktanteil 18,2 Prozent: Gemessen an den Einschaltquoten war die Premiere der mit Spannung erwarteten Talkshow "Anne Will" erfolgreich. Will, mit grauem Hosenanzug und braunem Hemd gekleidet, führte souverän durch die Sendung und stellte präzise Fragen. Wie angekündigt, erfand sie die politische Talkshow in Deutschland allerdings nicht neu.

 (DR)

Unerwartetes entlockte Will ihren Diskussionsteilnehmern - SPD-Chef Kurt Beck, NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU), Telekom-Chef René Obermann und Landesbischöfin Margot Käßmann - beim Thema "Rendite statt Respekt: Wenn Arbeit ihren Wert verliert" kaum. Mit Blick auf die Vorgängersendung "Sabine Christiansen" steht "Anne Will" eher für Kontinuität, allerdings mit leichten Änderungen.

Altbekannte Talkrunde
Eindrucksvoll war der Auftakt der Sendung. Will interviewte Kerstin Weser, eine Frau, die jeden Tag 130 Kilometer zu ihrer Arbeit in einem Callcenter in Görlitz fährt und dort für nur fünf Euro die Stunde arbeitet. Ihr Lohn reiche nicht aus, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, berichtete Weser den Tränen nahe.

Altbekannt verlief die eigentliche Talkrunde. Kurt Beck forderte den Mindestlohn und verteidigte Hartz IV, während Jürgen Rüttgers die Arbeitsmarktreform als "Murks" bezeichnete. Telekom-Chef René Obermann lobte die sozialen Errungenschaften seines Unternehmens, wozu Löhne gehörten, die nicht sittenwidrig seien. Die evangelische Landesbischöfin von Hannover, Margot Käßmann, verwies darauf, dass Arbeit nicht nur reiner Broterwerb, sondern auch wichtig für die Würde eines Menschen sei.
Die Politiker Beck und Rüttgers rissen die Diskussion stark an sich - Will ließ sie meist gewähren.

Beim Studiopublikum kam die ironische Art der 41-Jährigen gut an. Ihre Meinung zu den Äußerungen der Politiker brachte sie mehrmals mit einem Grinsen zum Ausdruck. Nach einem Schlagabtausch zwischen Beck und Rüttgers leitete sie mit den Worten "Frau Käßmann, weil die Stimmung schon am Boden ist..." zur Landesbischöfin über. Hartnäckig zeigte sich Will bei Kurt Beck, den sie drei Mal hintereinander fragte, ob die SPD immer noch zur Agenda 2010 stehe. Mit Blick auf den Bericht der Callcenter-Angestellten Weser fragte sie den SPD-Chef: "Haben Sie das gewollt?" Eher zahm war Will, als Beck und Rüttgers ihr in zwei Punkten vorwarfen, schlecht informiert zu sein. Will hatte Beck vorgehalten, noch vor einem Jahr den Mindestlohn abgelehnt zu haben. Zu Rüttgers sagte sie, er habe der Agenda 2010 zugestimmt. Beide Politiker wiesen Wills Darstellung zurück, die nicht mit Quellen oder Belegen für ihre Vorhaltungen konterte.

Lob und Kritik
Neben Lob übten die Onlineportale verschiedener Tageszeitungen auch Kritik. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" bemängelte die Themenwahl als wenig spannend, der "Kölner Stadt-Anzeiger" stellte fest, Will müsse ihre neue Rolle noch finden. Die "Süddeutsche Zeitung" schrieb, die Sendung habe "im redlichen Bemühen um Redekultur auch nicht mehr erbracht als ein Stückwerk voller Phrasen". Die "Berliner Zeitung" hingegen betrachtete die Auftaktsendung als "vielversprechend".

Will selbst sei "sehr zufrieden". ARD-Programmdirektor Günter Struve und Chefredakteur Thomas Baumann lobten Wills Leistung ebenso wie NDR Chefredakteur Andreas Cichowicz, der Will einen Blumenstrauß überreichte.