Vor einem Jahr hielt Benedikt XVI. seinen Regensburger Vortrag

Folgen einer Vorlesung

Diese eine Papstrede hat es zur Ehre eines türkischen Wikipedia-Eintrags gebracht. In dem Artikel der Online-Enzyklopädie geht es um "Papa XVI. Benedictus'un Islam tartismasi", den "Islam-Streit", entbrannt durch das Zitat eines bis dato fast vergessenen byzantinischen Kaisers in einem Vortrag Benedikt XVI. Aus seiner "Regensburger Rede" vom 12. September 2006 erwuchs die schwerste diplomatische Belastungsprobe des Pontifikats. Der Vorfall selbst ist Geschichte - aber ein Jahr später wirken die Folgen noch immer nach.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
 (DR)

Auf seiner Bayern-Reise war der einstige Dogmatikprofessor Joseph Ratzinger für einen Nachmittag in den Hörsaal zurückgekehrt und hatte über Vernunft und Glauben gesprochen. An den Anfang der Vorlesung stellte er ein Fundstück von Manuel II. Palaiologos aus dem Jahr 1391: "Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten."

Eine "erstaunlich schroffe" Aussage, wie Benedikt XVI. selbst beim Vortrag kommentierte. Doch die Medien brauchten relativ lang, um den verborgenen Sprengstoff im Text weltweit publik zu machen. Fast zwei Tage später erst, bei der Rückkehr nach Rom, hatte die Nachricht die Runde gemacht, der Papst habe den Islam verbal angegriffen. Vatikan-Sprecher Federico Lombardi verbreitete alsbald eine mäßigende Erklärung; doch da nahmen die Proteste schon ihren Lauf. In Indien, Indonesien, Pakistan gingen Menschen auf die Straße. Irans Religionsführer Ayatollah Ali Chamenei sprach von einem Kreuzzugs-Komplott. Demonstranten im Irak zündeten eine Papstpuppe an, in Somalia wurde eine katholische Ordensfrau von Muslimen ermordet.

Wie ernst der Vatikan die Lage jetzt einschätzte, zeigen die
Reaktionen: Benedikt XVI. bedauerte öffentlich die Missverständnisse, die sein Zitat hervorgerufen hatte. Die Vatikan-Zeitung "Osservatore Romano" druckte die Erklärung auf Arabisch ab. Der Papst lud die Botschafter islamischer Länder nach Castelgandolfo ein; Verständigung zwischen Religionen und Kulturen sei "lebensnotwendig", sagte er. 38 muslimische Gelehrte und Intellektuelle antworteten mit einem offenen Brief, in dem sie zum Abbau von Vorurteilen aufriefen.

Zur heikelsten Probe wurde aber die Türkei-Reise des Papstes Ende November. Noch einmal musste sich Benedikt XVI. Kritik anhören:
Im Westen verbreite sich eine "Islamophobie", die den Glauben Mohammeds als gewaltfördernd darstelle, sagte der Chef der Religionsbehörde, Ali Bardakolgu. Der Papst beteuerte, er komme "als Freund, als Apostel des Dialogs und des Friedens". Für die türkischen Medien war das Eis gebrochen, als Benedikt XVI. in Istanbul die Blaue Moschee besuchte und dabei an der Seite des Großmuftis vor der Gebetsnische verweilte. Der Papst habe wie ein Muslim gebetet, titelten türkische Zeitungen - und feierten die Geste als "Frieden von Istanbul".

Der Regensburger Vortrag blieb trotz allem umstritten. Kurz nach Weihnachten bezeichnete Kardinal-Staatssekretär Tarcisio Bertone den Fall Regensburg als "archäologisches Relikt"; ein halbes Jahr später nannte Papstsekretär Georg Gänswein die Rede "prophetisch". Zudem sind noch nicht alle Fragen nach Krisenprävention und Krisenmanagement im Vatikan erledigt. Fest steht, dass der Heilige Stuhl seine Antennen inzwischen stärker auf die islamische Welt ausgerichtet hat. Dazu passt, dass seit Regensburg zwei Kenner dieses Kulturkreises auf römische Spitzenposten gerückt sind: Fernando Filoni, der neue "Innenminister", war unter anderem Nuntius in Bagdad, und der neue päpstliche Außenminister Dominique Mamberti stammt aus Marokko.

Zur Umorientierung nach Regensburg gehört auch die erneute Stärkung des Päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog.
Nachdem er Anfang 2006 den früheren Dialog-Präsidenten, den Islamexperten Michael Louis Fitzgerald, als Nuntius nach Kairo versetzt und dessen Behörde vorübergehend dem vatikanischen Kulturchef zugeschlagen hatte, besitzt der Dialograt seit Juni wieder volle Selbstständigkeit. An seiner Spitze steht jetzt der französische Kardinal Jean-Louis Tauran - einer der erfahrensten Diplomaten der Kirche.