Ökumene-Gipfel in Sibiu - Bilanz Bischof Feige

"Wir müssen uns alle bewegen"

An diesem Sonntag endet in Sibiu (Rumänien) die Dritte Europäische Ökumenische Versammlung (EÖV3). Rund 1.500 Delegierte aller christlichen Konfessionen diskutierten fünf Tage lang über aktuelle kirchliche und gesellschaftliche Fragen in Europa. Im Interview zieht der Leiter der Delegation, Magdeburgs Bischof Gerhard Feige, eine Bilanz der Versammlung.

 (DR)

KNA: Herr Bischof, was hat Sie in Sibiu am meisten beeindruckt?

Feige: Am ersten Tag brandete spontan ein herzlicher Beifall auf, als Bilder der ökumenischen Bewegung gezeigt wurden, mit Papst Johannes Paul II. und dem rumänischen Patriarchen Teoctist I. oder Frere Roger aus Taize. Das hat mir wieder gezeigt, wie einzelne charismatische Personen etwas in Bewegung bringen können und Menschen positiv motivieren, an der Einheit mitzuarbeiten. Das war ein sehr emotionaler Ansatz.

KNA: Die Versammlung findet erstmals in einem orthodoxen Land statt. Was kann der Westen vom Osten lernen?

Feige: Die Orthodoxie hat in sehr schwierigen Verhältnissen überlebt, unter türkischer oder kommunistischer Herrschaft. Es gab wenig Möglichkeiten. Katechetische Unterweisung, Literatur, Familienarbeit, Kinder- und Jugendarbeit: Das alles gab es hier nicht. Es gab nur die Liturgie. Man wurde auf den Kirchenraum und die Sakristei zurückgedrängt. Es ist beeindruckend, wie Christen aus der Liturgie leben und überleben können. Aber zur Orthodoxie gehören auch Verkündigung und soziales Engagement. Das wird manchmal vergessen.

KNA: Die rumänisch-orthodoxe Kirche, Gastgeberin des Treffens, genießt in der Bevölkerung großes Vertrauen. Woran liegt das?

Feige: Ich würde nicht davon sprechen, dass die orthodoxen Kirchen Nationalkirchen sind. Aber oft stehen sie in einem engen Verhältnis zu einem bestimmten Land. Wir haben katholischerseits Entsprechungen, etwa in Polen. Dass die Kirche das Schicksal des Volkes geteilt hat und oft auch das Rückgrat war, hat diese Verbundenheit geschaffen.

KNA: Wie haben die Reden der orthodoxen Spitzenvertreter in Sibiu auf Sie gewirkt?

Feige: Sie waren unterschiedlich akzentuiert und haben die Breite der Orthodoxie deutlich gemacht. Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. wirkte in manchem ökumenisch aufgeschlossener und bewegter. Kyrill, der russisch-orthodoxe Metropolit von Smolensk, erschien etwas nachdenklicher, was die gesellschaftliche Situation im Westen betrifft. Manche haben sich da sehr verwundert; für sie klang das etwas schroff. Aber auch in unseren Gesellschaften gibt es manches Kritikwürdige. Seine Außenansicht kann uns anregen, über unsere Verhältnisse nachzudenken, ohne dass sofort das demokratische System in Frage gestellt wird.

KNA: In Sibiu war wiederholt davon die Rede, dass die Konvergenz-Ökumene, also die Suche nach möglichst vielen Gemeinsamkeiten, an ihr Ende gekommen sei. Teilen Sie diese Auffassung?

Feige: Ja und nein. Es gibt eine gewisse Müdigkeit in den theologischen Dialogen. Das Problem ist, ob die positiven Ergebnisse kirchlich offiziell anerkannt und rezipiert werden. Da setzt eine gewisse Frustration ein. Auch die Frage, worauf wir eigentlich zulaufen, ist nicht geklärt. Wenn wir keine Rückkehr-Ökumene wollen, müssen wir uns allesamt bewegen und Neues suchen beziehungsweise uns dafür offenhalten. Manche wollen sich mit den Gegebenheiten begnügen. Sie sagen, wir brauchen uns nur gegenseitig anerkennen, dann ist alles erledigt. Nach katholischem Verständnis ist Einheit anspruchsvoller. Wir wollen nicht einfach bestehende Verhältnisse gutheißen, sondern eine Einheit suchen, die tragfähig ist.

KNA: Die Versammlung war ausdrücklich kein theologisches Forum.
Wo ist die Konferenz, die die großen Fragen wie Amtsverständnis oder Eucharistie bespricht?

Feige: Multilateral ist das äußerst schwierig. Das hat man schon hier in Sibiu gesehen, wo es eher um praktische Gestaltungsfragen ging. Da helfen bilaterale Beziehungen eindeutig weiter. Sie müssen aber auf allen Ebenen entfaltet werden. Theologengespräche allein helfen nicht. Es stimmt auch nicht, was an der Basis manchmal beschworen wird, dass wir dort alle schon eins seien.
Ich kenne massive Gegenbeispiele; in manchen Regionen und Gemeinden ist Ökumene kein Thema. Man muss auch an der Basis noch viel tun.

KNA: Deutschland ist das Land der Reformation. Einige ihrer Stätten liegen auf dem Gebiet des Bistums Magdeburg. Fühlen Sie eine persönliche Verantwortung für die Ökumene?

Feige: Ganz sicher. Ökumenische Erfahrungen haben mich seit der Schulzeit geprägt, und zwar recht positive. In einem Artikel unter dem Titel "Katholisch im Lande Luthers" habe ich neulich beschrieben, wie wir uns als katholische Kirche in einer ursprünglich lutherisch geprägten Region fühlen, in der heute 80 Prozent religionslos sind. Mein Schluss war, dass es sich dort als Katholik ganz gut leben lässt. Manchmal wird durchaus unsachliche Kritik laut, oder man hört Argumente aus dem 16.
Jahrhundert. Man merkt, wir müssen weiterarbeiten. Aber gerade in den Lutherstädten Wittenberg und Eisleben gibt es gute ökumenische Kontakte.

KNA: Was nehmen die deutschen Delegierten aus Sibiu mit nach Hause?

Feige: Am ersten Abend gab es manche Frustrationen, wegen organisatorischer Probleme oder der Wortlastigkeit der Versammlung. Dann wurde aber klar, dass es für uns ein Lernprozess ist. Es hat Impulse gegeben, und Sibiu ist auch nicht der Abschluss. Natürlich gibt es Kritik und Fragezeichen. So war es schwierig, einen Meinungsbildungsprozess unter 2.500 Leuten zu gestalten, wenn die Zeit nicht reicht. Aber insgesamt halte ich diese Begegnung für wichtig und anregend.