Islam-Handreichung der Evangelischen Kirche sorgt weiter für Diskussionen

Provokation als Mittel zum Zweck

Das Islam-Papier "Klarheit und gute Nachbarschaft" der Evangelischen Kirche in Deutschland ist weiter umstritten. Die Islam-Verbände hatten der Evangelischen Kirche vorgeworfen, mit ihrer Schrift profiliere sie sich auf Kosten der Muslime. In dem Papier hebt die EKD deutlicher als zuvor Unterschiede zwischen Christentum und Islam hervor. Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche im Rheinland Wilfried Neusel spricht im domradio-Interview über die Stimmung zwischen den Vertretern der Religionen.

 (DR)

Die Meinungen über das von der EKD veröffentlichte Papier gehen weit auseinander: der ehemalige Bundesjustizminister Jürgen Schmude verteidigte die Schrift am Mittwoch in Düsseldorf in einer Diskussion mit Vertretern aus Kirche, Wissenschaft und Islam gegen Kritik muslimischer Verbände. Die Handreichung vom November 2006 drücke eine positive Grundhaltung zu den Muslimen aus. Dagegen warf der Hamburger Religionswissenschaftler Ulrich Dehn der EKD Provokation vor. Die islamische Theologin Hamideh Mohaghegi beklagte, die EKD zeichne ein abschreckendes Bild vom Islam. Der rheinische Präses Nikolaus Schneider als Gastgeber des Symposiums warb für einen respektvollen Dialog.

Ein neuer Anstoß
Der Religionswissenschaftler Dehn rügte, das Kirchenpapier betreibe "zum Teil hochgradige Provokation" und verfolge damit einen riskanten Kurs der Konfliktbearbeitung. Es sei in Düsseldorf jedoch wieder deutlich geworden, dass die Evangelische Kirche nicht beabsichtige, Öl ins Feuer zu gießen, sagt Wilfried Neusel. Sie reagiere lediglich darauf, dass muslimische Verbände sich über Jahre hinweg dem Dialog zwischen den Religionen entzogen hätten. Die Islam-Handreichung der EKD sei daher absichtlich provokant ausgefallen, um dem Dialog endlich wieder einen Anstoß zu geben, erklärt Neusel. Adressiert sei das Papier daher vor allem an die muslimischen Verbände selbst.
"Sie fühlten sich in eine Opferrolle gedrängt", erklärt Neusel weiter, "eine Mehrheitsgesellschaft will einer Minderheitsgesellschaft auf die Beine helfen." Neusel glaubt jedoch nicht, dass die Vertreter der EKD "herablassende Toleranz" gemeint hätten, sondern "wirklichen Respekt".
"Ich glaube aber, dass die Vertreter dieser Verbände weise genug sind, um die Gespräche weiterzuführen", so Neusel.

Die islamische Theologin Mohagheghi kritisierte dagegen, die EKD-Handreichung verallgemeinere die Lebensweise einiger Muslime und stelle den Islam als unfähig dar, die Werte der Moderne zu akzeptieren. Sie beklagte auch eine "Asymmetrie zwischen den Dialogpartnern". Der Dialog scheitere häufig an der fehlenden Bereitschaft, den eigenen Standpunkt zu überdenken und dem anderen zuzuhören. Laut Wilfried Neusel gehe aber aus dem Papier deutlich hervor, dass man wolle, dass Muslime ihr Friedenspotential und ihr spirituelles Potential einbringen.

Bereitschaft für Veränderungen
Jürgen Schmude betonte, die Kirche biete sich in dem Papier weiter als Partner für eine gute Nachbarschaft mit den Muslimen an. Allerdings sei in wichtigen Fragen Klarheit geboten, betonte der langjährige Präses der EKD-Synode. Als Beispiel nannte er die Rolle der Frau im Islam. Das EKD-Papier sei gleichwohl eine "Absage an Geringschätzung oder Feindseligkeit gegenüber dem Islam." Schmude räumte aber ein, dass vielfach am "Geist und Ton der Handreichung" Anstoß genommen werde. Auch Wilfried Neusel betonte: "Wir haben darum gebeten, dass der Geist der Solidarität mit den muslimischen Mitbürgern stärker zum Ausdruck kommt."
Vor allem auch auf Fragen der Integration müsse stärker eingegangen werden.

Präses Nikolaus Schneider plädierte für einen Dialog von Christen und Muslimen, der einem friedlichen Zusammenleben und der Integration der in Deutschland lebenden Muslime dienen solle. Dazu gehöre neben gesellschaftlichen und politischen Fragen auch eine vertiefte theologische Verständigung, etwa über die jeweilige Gottesvorstellung. Beide Seiten müssten zu Veränderungen bereit sein. Grundlage des Dialogs muss laut Schneider das Grundgesetz sein.