Hoffnung auf bessere Situation der Christen in der Türkei

Präsident aller Türken?

Nach der Wahl des neuen Staatspräsidenten Abdullah Gül hoffen die Christen in der Türkei auf mehr Freiheiten. Der Türkei-Experte des katholischen Missionswerks missio, Otmar Oehring, sagte am Mittwoch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Aachen, führende Vertreter der Kirchen in der Türkei erwarteten nun insbesondere eine Verbesserung ihres Rechtsstatus. So habe der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., bereits angekündigt, er wolle so schnell wie möglich mit der neuen Regierung von Recep Tayyip Erdogan zusammentreffen.

 (DR)

Nach Einschätzung Oehrings bestehen zumindest Chancen, dass Gül das vom bisherigen Staatspräsidenten Ahmet Necdet Sezer immer wieder per Veto verhinderte Stiftungsgesetz akzeptieren werde. Damit könnten auch Kirchen über den Umweg von Stiftungen Eigentum erwerben.

Skeptisch zeigte sich der Menschenrechtsexperte allerdings, ob Gül eher die Rolle eines Vermittlers zwischen Staat und Religionsgemeinschaften spielen wolle oder ob er eher seine islamische Klientel bedienen werde. Nach Einschätzung Oehrings ist die Türkei schon heute ein islamischer Staat. Die in der Verfassung festgelegte Trennung von Staat und Religion bestehe schon lange nicht mehr, weil die Behörden in Religionsfragen massiv eingriffen.

Deutschsprachige Gemeinde optimistisch
Optimistisch zeigte sich die deutschsprachige evangelische Gemeinde in der Türkei. Gül habe bereits als Außenminister versprochen, die christlichen Minderheiten zu stärken, sagte der Pfarrer der evangelischen Auslandsgemeinde in Istanbul, Holger Nollmann, dem Südwestrundfunk (SWR) in Baden-Baden.

Er forderte einen verlässlichen Rechtsstatus für die christlichen Kirchen. So müssten sie ihre inneren Angelegenheiten wie die Ausbildung der Geistlichen selbst regeln können. Seit 30 Jahren gibt es in der Türkei keine Ausbildungsstätte für christliche Theologen. Trotz einer leichten Verbesserung des gesamtgesellschaftlichen Klimas bestehe immer noch ein "Gefühl der Unsicherheit", betonte Nollmann. Gefahr vor gewalttätigen Übergriffen drohe vor allem aus nationalistischen Kreisen, die einheimische und ausländische Christen als "Feinde der Nation"
betrachteten.

Politiker warnen Militärs
Politiker von SPD und Union haben das türkische Militär aufgefordert, die Wahl von Abdullah Gül zu akzeptieren. "Ich hoffe, dass die Militärs nicht überreagieren", sagte der Vize-Fraktionsvorsitzende der SPD, Walter Kolbow, das Wahlergebnis müsse respektiert werden. Gül müsse sich darüber im Klaren sein, dass sein Auftrag auch sei, die Stabilität der Türkei zu bewahren. "Er muss von sich aus die laizistischen Kräfte einbeziehen und ein Präsident aller Türken werden."

Auch der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Andreas Schockenhoff (CDU) forderte das türkische Militär auf, sich nicht in die Politik einzumischen: "Der neu gewählte Präsident Gül steht zusammen mit Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan für den Kurs der Modernisierung und Annäherung der Türkei an die EU, was die klare Trennung von Staat und Religion einschließt. Dafür hat es erst kürzlich einen klaren Auftrag der Wähler gegeben."

Die CSU machte deutlich, dass der EU-Beitritt der Türkei für sie weiter nicht in Frage kommt. CSU-Generalsekretär Markus Söder sagte der "Berliner Zeitung": "Wir lehnen eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU grundsätzlich ab - unabhängig davon, wer Präsident ist."

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU), bewertet die Wahl von Gül zum türkischen Staatspräsidenten positiv für den türkischen Reformkurs in Richtung Europa. "Als Außenminister hat er ja einen energischen Kurs in Richtung Europa verfolgt. Seine Weltoffenheit und Erfahrung sind gute Voraussetzungen", sagte Polenz der "Frankfurter Rundschau" (Mittwochausgabe). Eine Gefahr für eine mögliche Islamisierung der Türkei durch den konservativen Gül sieht Polenz nicht: "Auch die Militärs werden sehen, dass die Regierung den Säkularismus, der in der Türkei inzwischen tief verwurzelt ist, nicht antastet."