EKD-Ratsvorsitzender Huber: Arbeit angemessen würdigen und entlohnen

Warnung vor der "Schere zwischen Arm und Reich"

Arbeit ist nach Ansicht des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, nur dann sozial, wenn sie angemessen gewürdigt und entlohnt wird. Es müsse möglich sein, Eigenverantwortung zu übernehmen. Wer Mindeststandards missachte, biete keine Alternative zur Arbeitslosigkeit, sagte er in einem epd-Interview. Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Wohlstand seien nur dann erreichbar, wenn sich "niemand aus der Verantwortung" stehle.

Autor/in:
Thomas Schiller
 (DR)

Der Arbeitsmarkt erholt sich, doch ein Sockel von mehreren Millionen Erwerbslosen bleibt. Wird genug getan, um Stellen für gering Qualifizierte und Langzeitarbeitslose zu schaffen?


Wolfgang Huber: Der Begriff der Sockelarbeitslosigkeit drückt aus, was sich auch in vielen Köpfen festgesetzt hat: Trotz guter konjunktureller Lage gibt es zumindest für die rund 40 Prozent Langzeitarbeitslosen unter den noch immer mehr als 3,7 Millionen Arbeitslosen kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Um dies zu ändern, müssen nicht nur Stellen geschaffen, sondern auch andere Fragen beantwortet werden: Wie müssen Angebote beschaffen sein, damit Menschen, denen oftmals über lange Jahre ihr Selbstwert von der Arbeitsgesellschaft aberkannt wurde, wieder sozialen Halt und Selbstvertrauen gewinnen? Welche Instrumente können den Wiedereinstieg ins Erwerbsleben erleichtern? Und was können wir gegen den Verdrängungswettbewerb nach unten tun?

Teilen Sie die Meinung: "Sozial ist, was Arbeit schafft"?

Wolfgang Huber: "Die Arbeit gehört zum Menschen wie zum Vogel das Fliegen", hat Martin Luther gesagt. Erwerbsarbeit ist die wichtigste Form, in der Menschen für ihren Lebensunterhalt sorgen können.

Individuelle Selbstbestimmung entsteht am ehesten dort, wo Menschen die Möglichkeit haben, ihre Gaben zu entfalten und selbst etwas zu schaffen. Das jedoch setzt eine menschenwürdige Gestaltung von Arbeit voraus. "Sozial" ist Arbeit nur dann, wenn sie angemessen gewürdigt und entlohnt wird, wenn sie die Übernahme von Eigenverantwortung ermöglicht und auch Raum für ein Leben jenseits der Arbeit lässt. Wer solche qualitativen Mindeststandards missachtet, bietet keine ernstzunehmende Alternative zur Ohnmacht der Arbeitslosigkeit.

Reichen die bisher angestoßenen Gesetzesinitiativen, unter anderem die Hartz-Gesetze, für eine nachhaltige Reform des Sozialstaats aus?

Wolfgang Huber: Die Reform eines Sozialstaates ist kein Puzzle, das man einmal zusammenfügt und dann weglegt - sie ist ein fortwährender Prozess demokratischen Bemühens um eine gemeinsame Zukunft, die immer wieder von neuen Bedingungen und Themen herausgefordert wird. In den Fragen einer alternden Gesellschaft beispielsweise stehen wir noch ganz am Anfang. Eine nachhaltige Reform des Sozialstaates kann nur gelingen, wenn wir den Schatz menschlicher Gemeinschaft erkennen und die Lust wach halten, eine gemeinsame Zukunft immer wieder neu zu denken und mit Leben zu füllen.

Die Schere zwischen den Einkommen aus Erwerbsarbeit und Kapitalbesitz geht weiter auseinander. Was bedeutet dies für den Zusammenhalt der Gesellschaft?

Wolfgang Huber:
Trotz des aktuellen Aufschwungs öffnet sich die Schere zwischen Arm und Reich in unserem Land weiter und die Zahl der Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht alleine bestreiten können, steigt. Das birgt erhebliche Gefahren. Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Wohlstand sind nur dann erreichbar, wenn sich niemand aus der Verantwortung stiehlt. Das betonen sowohl die 2006 veröffentlichte Denkschrift des Rates der EKD zur gerechten Teilhabe als auch der Beschluss der EKD-Synode vom November desselben Jahres.

Wir fordern daher ein Steuersystem, das alle Einkunftsarten erfasst, nach Leistungsfähigkeit besteuert und transparent ist. Ein leistungsfähiges Gemeinwesen braucht das Vertrauen der Menschen, und hierzu sind klare und gerechte Konzepte nötig. Wer im Rahmen seiner Möglichkeiten zur Finanzierung eines solchen Systems beiträgt, hat Anlass, stolz zu sein.

Viele soziale Aktivitäten sind ohne Ehrenamtliche undenkbar. Wie motivieren Sie Menschen, sich in Kirchen, Gewerkschaften, Parteien und Initiativen zu engagieren?

Wolfgang Huber:
Sich zu engagieren und Verantwortung für sich und andere zu übernehmen ist eine der zentralen Botschaften des Evangeliums von Jesus Christus. Viele Menschen empfinden das Engagement mit und für andere als eine äußerst erfüllende Beschäftigung. Doch auch das Umfeld, die soziale Einbindung und die Anerkennung solcher Tätigkeiten spielen eine wichtige Rolle. Deswegen halte ich es für enorm wichtig, dass die Arbeit von Ehrenamtlichen angemessen gewürdigt und ihnen sowohl Entscheidungsspielräume als auch Gelegenheiten zur Weiterentwicklung der eigenen Fähigkeiten und Talente gegeben werden. Wir bemühen uns daher um vielfältige Förderung und Würdigung unserer Ehrenamtlichen.