Die spirituelle Not der Mutter Theresa - Für Fachleute kein Grund gegen Heiligsprechung

Jesus, der Abwesende

Mutter Theresa war Vielen ein Beispiel tätiger Nächstenliebe. In Kalkutta hat sie sich um die Ärmsten der Armen gekümmert, um Sterbende und Leprakranke. Dafür wurde sie 1979 mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Doch auch die selige Mutter Theresa kannte Phasen spiritueller Not, das zeigen ihre Briefe. Brian Kolodiejchuk, Postulator des Verfahrens zur Heiligsprechung, hat sie jetzt veröffentlicht. Das war ein strategischer Schachzug, denn das Heiligsprechungsverfahren sei ins Stocken geraten, meint der Theologe Christian Feldmann im domradio-Interview.

 (DR)

Die Glaubenszweifel, die jetzt bekannt wurden, würden Mutter Theresa auch für diejenigen vermittelbarer machen, die nicht an der fraglosen Glaubensgewissheit eines schlichten Christentums teilhaben können, schätzt Christian Feldmann. Es käme in der Geschichte des Christentums nicht selten vor, dass spirituelle Leitfiguren diese Krisen hätten, so der Theologe.

Mutter Theresa von Kalkutta durchlief anscheinend lange Phasen spiritueller Not - eine "dunkle Nacht der Seele". Viele ihrer Briefe sprechen davon. Der Postulator des Verfahrens zur ihrer Heiligsprechung, Brian Kolodiejchuk, kennt jeden Text von Mutter Theresa. Zum bevorstehenden 10. Todestag hat er Briefe Mutter Theresas zu einem Buch zusammengefasst. "Komm, sei du mein Licht! Die geheimen Aufzeichnungen der Heiligen von Kalkutta."

Ihre spirituelle Not vergrößert sie
Der päpstliche Hausprediger P. Raniero Cantalamessa sieht in der Art und Weise, wie die Selige mit ihrer spirituellen Not umging, erst recht einen Grund für ihre Heiligkeit. "Gerade dieses Leiden, das die Leere, die Abwesenheit Gottes verursachte, ist ein Anzeichen dafür, dass wir es mir einem positiven Phänomen zu tun haben. Gott ist anwesend, aber sie fühlte ihn nicht. Die Tatsache, dass Mutter Theresa Stunden vor dem Allerheiligsten zubrachte und dabei, wie Zeugen gesehen haben, hingerissen war - das muss ein Martyrium gewesen sein. Ich kann nicht verstehen, dass Menschen in diesem Martyrium einen Skandal sehen. Ihre spirituelle Not machte Mutter Theresa nicht etwa kleiner, sondern im Gegenteil, sie vergrößerte sie."

Cantalamessa erinnert auch daran, dass die "dunkle Nacht der Seele" Teil der christlichen Tradition ist - auch wenn sie bei Mutter Theresa neue Formen angenommen habe: "Während die „dunkle Nacht" beim Heiligen Johannes vom Kreuz eine Vorbereitung auf den ewigen Zustand der Einigung war, scheint es sich bei Mutter Theresa ab einem gewissen Zeitpunkt um einen dauernden Zustand gehandelt zu haben, nämlich seit sie ihr großes karitatives Werk in Angriff nahm. Das hat für uns heute, denke ich, eine Bedeutung. Ich glaube, dass Mutter Theresa die Heilige des Medienzeitalters ist, weil ihre "dunkle Nacht der Seele" sie davor bewahrt hat, zum Opfer der Medien zu werden. Sie selbst sagte, angesichts der großen öffentlichen Anerkennung durch die Medien nichts zu empfinden, eben weil sie diese innere Leere fühlte - eine Art Asbest-Kleid, um die Ära der Medien zu überstehen."

Jesus, der Abwesende
Die jetzt veröffentlichten Briefe waren wohl nicht für die Öffentlichkeit gedacht. es handelt sich um die Korrespondenz Mutter Theresas mit ihren Beichtvätern und geistlichen Begleitern. Die Briefe enthüllen das Innenleben der Mutter Theresa, ihre innersten Kämpfe. Ein halbes Jahrhundert kämpfte sie gegen die "Hölle", wie sie ihre Empfindungen selbst nannte. Jesus bezeichnete sie in den Briefen als "den Abwesenden". Den Zustand ihrer Seele empfand sie als "Trockenheit", "Dunkelheit", "Einsamkeit", "Folter".

Auch Johannes vom Kreuz, Theresia von Lisieux, Edith Stein und andere haben diese Dunkelheit erfahren. "Diese Wege Gottes ins Dunkel sind eine letzte Phase der Läuterung, die für die Schau des göttlichen Lichtes bereitmachen soll", schreibt Dr. Hermann-Josef Silberberg, geistlicher Berater von kirchensite.de. "Was Johannes vom Kreuz u. a. erleben, ist "nichts als Nacht", das "reine Nichts ", das totale Dunkel einer Nacht der Sinne, des Geistes und des Glaubens: alles, was inneren Halt geben könnte, ist weg gebrochen, einem letzten Brennprozess der "Vernichtung" unterworfen und "gestorben", - auch jede Gottesvorstellung."

Die metaphysische Isolation, mute Gott seinen Auserwählten zu. Er selbst stelle seine "Gerechten" ins Dunkel, schicke sie in die "Wüste" und setze ihren Glauben, wie schon bei Abraham, extremen Zerreißproben aus, so Silberberg.