Paris nimmt Abschied von seinem einstigen Kardinal

Adieu, Jean-Marie Lustiger

Mit einer bewegenden Trauerfeier in der Kathedrale Notre Dame ist am Freitag der Pariser Kardinal Jean-Marie Lustiger beigesetzt worden. Die französische Staatsspitze und weit über 100 Würdenträger aus Kirchen und Weltreligionen nahmen an dem Gottesdienst in der voll besetzten Kathedrale teil. Unter den 16 anwesenden Kardinälen war auch der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner.

 (DR)

Am Sonntag nach langer Krankheit gestorben
Staatspräsident Nicolas Sarkozy unterbrach eigens seinen Urlaub in den USA. Auf Wunsch des Verstorbenen nahm die Liturgie auch zahlreiche Elemente auf, die der jüdischen Herkunft Lustigers Rechnung trugen. Der Gottesdienst wurde live auf eine Großleinwand außerhalb der Kathedrale übertragen, wo sich Tausende Menschen versammelt hatten.

Lustiger war am Sonntag im Alter von 80 Jahren nach langer Krankheit gestorben. Er leitete die Erzdiözese Paris von 1981 bis 2005 und gehörte zu den führenden Vertretern der katholischen Kirche weltweit. 1926 als Sohn polnisch-jüdischer Emigranten in Paris geboren, ließ sich der 14-jährige Aaron Lustiger während des Zweiten Weltkriegs auf den Namen Jean-Marie taufen. In seiner Amtszeit engagierte er sich stark für die Verbesserung der Beziehungen von Judentum und katholischer Kirche.

Jüdische wie christliche Totengebete
Lustiger hatte gewünscht, dass jüdische wie christliche Familienmitglieder traditionelle Totengebete für ihn sprechen. Im ersten Teil der Zeremonie vor der Kathedrale legte Großcousin Jonas-Moses Lustiger Erde aus dem Heiligen Land auf den Sarg des Verstorbenen. Sie stammt aus einem Kloster bei Jericho sowie aus dem Garten am Jerusalemer Ölberg. Jonas-Moses Lustiger sprach den Psalm 113, zunächst auf Hebräisch, dann auf Französisch. Cousin Arno Lustiger betete das jüdische Heiligungsgebet, das Kaddisch.

In seiner Predigt verwies der amtierende Pariser Erzbischof Andre Vingt-Trois auf die besonderen Lebensumstände des Verstorbenen. Sie zeigten, dass "für Gott nichts unmöglich ist". Man könne das Leben Lustigers mit den europäischen Zeitläuften des 20. Jahrhunderts deuten. Man könne es aber ebenso als Teil eines Weges deuten, eines Bundes zwischen Gott und seinem auserwählten Volk, der auch an den schmerzhaften und grausamen Stationen sichtbar werde.

Wer das Glück gehabt habe, Lustiger persönlich zu kennen, sei nicht zuerst von seiner großen Intelligenz, der Schärfe seines Geistes oder der Weite seiner Kultur beeindruckt gewesen, sondern noch mehr und vor allem von der Kraft seines Glaubens, betonte Vingt-Trois. All seine zahlreichen Aktivitäten seien von dem Wunsch beseelt gewesen, diesen Glauben weiterzugeben. Dabei habe er sich nicht in die Welt der Kirche einschnüren lassen, sondern habe zahllose Kontakte in die französische Gesellschaft, in die Welt der Wirtschaft und der Wissenschaft gepflegt.

Im Namen der Academie Francaise, deren Mitglied Lustiger war, verlas der Schriftsteller Maurice Druon (89) eine Hommage an den Kardinal. Im Anschluss trug der Gesandte des Papstes, der französische Kurienkardinal Paul Poupard, eine Botschaft Benedikt XVI. vor.

Meisner: "Aufmerksam gehörter Verkünder des Evangeliums"
Aus Deutschland kam der Kölner Kardinal Joachim Meisner zur Trauerfeier, aus anderen EU-Staaten etwa die Kardinäle Godfried Danneels, Jozef Glemp, Cormac Murphy-O'Connor, Camillo Ruini und Christoph Schönborn. Aus den USA, wo Lustiger mehrere hochrangige Treffen zwischen Rabbinern und Kardinälen initiierte, reiste Kardinal Theodore McCarrick an.

Meisner hatte im Vorfeld die Verdienste des verstorbenen früheren Erzbischofs von Paris, Kardinal Jean-Marie Lustiger, im domradio-Interview gewürdigt. Bei seinen Besuchen in Köln sei er "immer ein gerngesehener Gast" und "aufmerksam gehörter Verkünder des Evangeliums" gewesen, erklärte der Kölner Erzbischof am Dienstag in der Domstadt. Lesen Sie hier die Würdigung im Wortlaut.

Meisner erinnert auch an zahlreiche seiner Treffen mit Lustiger anlässlich der Weltbischofssynoden. Es seien immer "sehr herzliche und auch sehr theologisch tiefgehende Begegnungen" gewesen. Eine besondere Nähe habe sich durch die Planungen zum Weltjugendtag 2005 in Köln ergeben. Aufgrund der Erfahrungen Lustigers mit dem Weltjugendtag 1997 in Paris seien es sehr lebendige Konsultationen über das christliche Großereignis gewesen. Lustiger hatte am Kölner Weltjugendtag teilgenommen. Meisner erinnerte auch an sein letztes Zusammentreffen mit Lustiger anlässlich des Auschwitz-Besuches von Papst Benedikt XVI. im Mai 2006.

Zahlreiche Vertreter des Judentums
Stark vertreten waren neben den Ostkirchen vor allem Repräsentanten des Judentums aus Frankreich und dem Ausland sowie die israelischen Botschafter in Frankreich und bei der Weltkulturorganisation UNESCO. Allein der Zentralrat jüdischer Organisationen in Frankreich (Crif) meldete zwölf Würdenträger an.

Nach der Segnung des Leichnams durch die anwesenden Bischöfe und Priester wurde der Sarg in die unterirdische Gruft der Erzbischöfe gebracht. Dort sind seit Anfang des 17. Jahrhunderts 22 der 26 verstorbenen Pariser Oberhirten begraben. Zwei liegen in der Pariser Basilika Sacre-Coeur bestattet, einer in Saint-Denis bei Paris, der Grablege der französischen Könige, sowie einer in Pachins im Departement Aveyron.

Benedikt XVI.: "Große Gestalt der Kirche"
Papst Benedikt XVI. hatte Lustiger zuvor als "große Gestalt der Kirche in Frankreich" gewürdigt. "Als Mann des Glaubens und des Dialogs hat er sich großherzig für die Förderung immer brüderlicherer Beziehungen zwischen Christen und Juden verausgabt", schrieb der Papst am Montag in einem Beileidstelegramm an den amtierenden Pariser Erzbischof Andre Vingt-Trois. Lustiger sei ein weitsichtiger Intellektueller gewesen, der seine Gaben in den Dienst des Glaubens gestellt habe.

Besonders hob Benedikt XVI. den Einsatz des Kardinals für die Jugend, die Verkündigung des Evangeliums und eine vertiefte Bildung von Priestern und Laien hervor.

"Der Vatikan ist voller Trauer", so Radio Vatikan-Redakteur Mario Galgano im domradio-Interview zum Tod Lustigers.