Wissenschaftler prognostiziert Anstieg des Beitrags zur Pflegeversicherung auf sieben Prozent

Pflegeversicherung vor dem Kollaps?

Die Beiträge zur Pflegeversicherung werden in den kommenden Jahrzehnten einem Zeitungsbericht zufolge drastisch steigen. Wegen wachsender Kosten für die Pflege älterer Menschen müssten Arbeitnehmer im Jahr 2045 rund sieben Prozent ihres Einkommens für die Versicherung aufwenden, berichtete die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" unter Berufung auf wissenschaftliche Berechnungen. Dies sei eine Zunahme von mehr als 300 Prozent im Vergleich zum heutigen Satz.

 (DR)

"Die Beitragssätze müssen extrem steigen, um die bisherigen Leistungen weiter zu finanzieren", zitierte das Blatt den Finanzexperten Bernd Raffelhüschen vom Freiburger Forschungszentrum Generationenvertrag. Kritisiert werde damit auch die Bundesregierung, derzufolge der Beitragssatz bei 2,6 Prozent stabil gehalten werden könne.

Das Bundesgesundheitsministerium wies die Berechnung der Wissenschaftler als unseriös zurück. Eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums sagte am Samstag in Berlin, die Pflegereform sei von der Bundesregierung solide finanziert und berechnet. "Die Langzeitprognose von Herrn Raffelhüschen wird diesmal ebenso wenig zutreffend sein wie in der Vergangenheit. Es gibt keinen seriösen Experten, der uns bekannt ist, der bisher eine solche Prognose angestellt hätte." Derzeit beträgt der Beitragssatz zur Pflegeversicherung 1,7 Prozent. Kinderlose zahlen 1,95 Prozent. Zum 1. Juli 2008 steigen die Sätze auf 1,95 beziehungsweise auf 2,2 Prozent des Einkommens.

Leistungsverbesserungen nicht zum Nulltarif
Die Grünen-Bundestagsfraktion warf der Großen Koalition hingegen vor, "ein gefährliches und verantwortungsloses Spiel" zu treiben. Die pflegepolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Elisabeth Scharfenberg, betonte, die Finanzierung trage maximal bis 2015. "Rücklagen in Form einer Demografiereserve sind nicht getätigt worden, ebenso wenig wie ein Finanzausgleich zwischen sozialer und privater Pflegeversicherung." Die Koalition habe einen "Sommernachtstraum" vorgegaukelt, statt die notwendige umfassende Pflegereform in Angriff zu nehmen.

Die Finanzierung all der kleinen Verbesserungen der jetzigen Pflegereform trage höchstens acht Jahre, dann werde der Handlungsspielraum immer enger. "Leistungsverbesserungen seien nicht zum Nulltarif zu haben", so die Sprecherin der Grünen.

Systemwechsel nötig
Die Schwarz-Rote Koalition arbeite mit "geschönten Zahlen", sagt auch der Duisburger Volkswirtschaftler Reinhold Schnabel. Das werde die Politik aber nicht daran hindern, schon in wenigen Jahren die Beiträge über die selbst gewählte Höchstgrenze hinaus zu erhöhen. Der Wissenschaftler forderte unter Verweis auf den immer höher werdenden Anteil älterer Menschen einen Umbau der Pflegeversicherung und mehr private, kapitalgedeckte Vorsorge. Bei der Pflegeversicherung sei es noch möglich, aus der umlagefinanzierten Versicherung auszusteigen, betonte er.

Der Koalition hatte sich im Juni auf einen Kompromiss verständigt, der eine Anhebung der Beiträge zur Pflegeversicherung zum 1. Juli 2008 um 0,25 Prozentpunkte auf 1,95 Prozent des Bruttolohns vorsieht. Im Gegenzug sollen Anfang 2008 die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um 0,3 Prozentpunkte gesenkt werden. Die Leistungen für Demenz- und Alzheimerkranke sollen verbessert und die Regelsätze besonders im ambulanten Bereich an die höheren Lebenshaltungskosten angepasst werden. Das Gesundheitsministerium erklärte dazu am Wochenende, die Pflegereform sei solide finanziert. Raffelhüschen habe schon in der Vergangenheit mehrfach falsche Entwicklungen prognostiziert.