Afghanistan-Debatte: Caritas lehnt Rückzug derzeit ab

Aber morgen kann schon alles anders sein

Die Diskussion um das deutsche Engagement in Afghanistan hält an: In der Regierung zeichnet sich ein Konflikt um die Verlängerung der Mandate für den Bundeswehreinsatz ab. Und auch die Situation der Hilfsorganisationen bleibt nach den Entführungsfällen der vergangenen Wochen angespannt. Der Leiter des katholischen Hilfswerks Caritas International, Oliver Müller, hat sich nun für einen Verbleib seiner Organisation in dem Krisenland ausgesprochen.

 (DR)

"Wir überprüfen die Situation täglich"
Die Hilfsorganisationen hätten ein gemeinsames Informationsnetz über die Sicherheitslage gegründet und täten "alles Menschenmögliche", um gefährliche Situationen zu umgehen, sagte er am Montag im Deutschlandradio Kultur. Wenn es aber so weit käme, dass Caritas-Mitarbeiter sich bewaffnen müssten, um sich zu schützen, sei der Zeitpunkt für den Rückzug gekommen. "Man kann humanitäre Hilfe nicht mit dem Gewehr in der Hand durchführen", sagte Müller. Er betonte: "Wir überprüfen die Situation täglich. Es kann sich schon morgen anders gestalten."

Müller sieht eine wachsende Gefährdung der Hilfsorganisationen durch neue militärische Strategien, die die humanitäre Hilfe als Teil ihres Auftrags entdeckt hätten. Dadurch würden in den Augen der lokalen Bevölkerung die Grenzen zwischen Militäraktionen und humanitärer Hilfe verwischt, die Hilfsorganisationen gerieten zunehmend zwischen die Fronten. Die Menschen wüssten nicht mehr, wer Soldat und wer Helfer sei und nähmen nur die westliche Dominanz wahr. Früher sei beispielsweise die Caritas-Fahne auf den Einsatzwagen ein Schutz gewesen, weil die Fahne Neutralität symbolisiere. "Heute bleibt man besser unsichtbar", sagte er.

Müller forderte eine Verlängerung des Bundeswehrmandats für Afghanistan und eine bessere Ausbildung von Polizisten. "Wo Sicherheit ist, blüht das Land auf", sagte der Caritas-Leiter. Die Mehrheit der Bevölkerung schätze den Einsatz Deutschlands und stehe der Hilfe positiv gegenüber. Daher sei ein Rückzug von Militär und Hilfsorganisationen nicht sinnvoll, weil man damit den Taliban und Drogenbaronen das Land überlasse.

Regierung uneins über zusätzliche Soldaten für Afghanistan
Während sich Unions-Bundestagsfraktionschef Volker Kauder (CDU) und der SPD-Verteidigungsexperte Jörn Thießen am Montag bereit für eine Entsendung zusätzlicher Soldaten zeigten, lehnte das Verteidigungsministerium nach einem Bericht des "Kölner Stadt-Anzeigers" einen solchen Schritt ab. Grünen-Parteichef Reinhard Bütikofer sprach sich für eine Ausweitung des ISAF-Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan aus und forderte zugleich ein Ende der Beteiligung an der Antiterror-Operation "Enduring Freedom".

In Afghanistan sind derzeit rund 3000 Bundeswehrsoldaten stationiert - der größte Teil im Rahmen der Internationalen Afghanistan-Schutztruppe ISAF. Unter dem Dach des Mandats für den Antiterroreinsatz "Operation Enduring Freedom", das auch Marineeinheiten am Horn von Afrika umfasst, können bis zu 100 Elitesoldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) in Afghanistan eingesetzt werden. Außerdem setzt die Bundeswehr "Tornado"-Aufklärungsflugzeuge in dem Land ein. Über alle drei Mandate soll der Bundestag im September entscheiden.