Das politische Vermächtnis des Münchner Kardinals Wetter

Katholische Erwartungen an das "C"

In Bayern befindet sich mit dem bevorstehenden Wechsel an der Spitze von CSU und Staatsregierung nicht nur die Politik im Umbruch. Kardinal Friedrich Wetter wird im Herbst von seinem Amt zurücktreten. Ein Nachfolger ist noch nicht gefunden. Bei dieser Personalie wird auch darüber entschieden, wie die katholische Kirche künftig politisch zu agieren gedenkt.

 (DR)

"Politik aus christlicher Verantwortung"
In dieser Situation nun hat Wetter für den Sammelband der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung "Politik aus christlicher Verantwortung" einen Beitrag verfasst, den man getrost als politisches Vermächtnis ansehen kann. "Im Anspruch des 'C' - Erwartungen aus katholischer Perspektive" lautet die Überschrift. Nicht zufällig erscheint das Buch nur wenige Wochen vor einem Parteitag, bei dem die Christsozialen über ihre neue Führung und ihr neues Grundsatzprogramm abstimmen werden.

Eine am Christentum orientierte Politik sollte zunächst dem Menschen dienen, beginnt Wetter seine Überlegungen. Sie sollte seine elementaren Bedürfnisse aufnehmen und dabei auch diejenigen nicht vergessen, deren Stimme kaum Einfluss habe. Sie sollte den Menschen nicht übergestülpt werden und das Mühen um Gerechtigkeit erkennbar werden lassen.

Mandatsträger öffentlich abzuwatschen war nie Wetters Sache
Der oft bedächtig wirkende Münchner Kardinal hat seinen eigenen Politikstil entwickelt. Mandatsträger öffentlich abzuwatschen, war nie seine Sache. Klartext sprach er bevorzugt im direkten persönlichen Austausch, von dem er sich stets mehr versprach als von medialem Druck. Journalisten bissen sich regelmäßig die Zähne aus, wenn sie Wetter bei Pressekonferenzen ein möglichst konkretes Statement zur einen oder anderen tagespolitisch aktuellen Frage entlocken wollten. Dieser Versuchung erlag der Kardinal nur äußerst selten.

Im Unterschied zu anderen Bischöfen sprach der Pfälzer der Union auch nie das "C" ab, selbst wenn diese das Gegenteil von dem tat, was er für richtig hielt. Und er interpretierte diesen Buchstaben im Parteinamen nicht mit einem kirchlichen Auftragsbuch. "Politik aus dem C ist ein Selbstanspruch", schreibt er. Dieser kreist um die Fragen, was der Mensch sei, welche Gestalt die staatliche Rechtsgemeinschaft annehmen müsse und wie die Politik die Gemeinschaft fördern könne, damit die Menschen zur Entfaltung kommen, kurz: "Es geht um den Menschen und nicht um die Kirche."

Wenn politisch, dann grundsätzlich
Deren Rolle im politischen Prozess sieht der Kardinal im Dienst an der Gewissensbildung. Das ist für ihn etwas völlig anderes als die übliche Lobbyarbeit anderer gesellschaftlicher Großgruppen.

Wenn sich Wetter politisch zu Wort meldete, wurde es grundsätzlich. So auch hier. Der Kardinal zitiert die päpstliche Antrittsenzyklika "Deus caritas est", das ökumenische Wirtschafts- und Sozialwort von 1997, die Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils von 1965 und das visionäre Dokument "Unsere Hoffnung" der Würzburger Synode (1975).

Die Erlaubnis für Waschanlagen oder Kaufhäuser, auch sonntags ihre Geschäfts zu machen, kritisiert er denn auch nicht als Angriff auf kirchliche Privilegien, sondern fragt nach dem dahinter stehenden Menschenbild. In die Debatte um Deregulierung und Privatisierung wirft er ein, dass die katholische Soziallehre einem Minimalstaat nie das Wort geredet habe. Und dass Solidarität von Leistungsträgern mit Schwächeren nicht nur ein Gebot der Barmherzigkeit sei. Gerade die Eliten verdankten ihre Fähigkeiten nicht nur sich selbst, sondern mehr, als ihnen oft bewusst sei, ganz wesentlich den Vorleistungen anderer.