Mit dem Verkauf geht ein Kapitel bewegter Kirchengeschichte zu Ende

Aus Bielefelder Kirche wird Synagoge

Wo noch bis vor einigen Monaten ein Pfarrer die Bibel auslegte, wird bald ein Rabbiner aus der Thora lesen. Mit dem am Montag bekannt gegebenen Kaufvertrag wird aus der früheren evangelischen Paul-Gerhardt-Kirche in Bielefeld eine Synagoge. Nach Hannover wäre das bundesweit der zweite Fall. Damit geht auch ein Kapitel bewegter Kirchengeschichte in Bielefeld zu Ende. Denn der mehrmonatige Widerstand einer Bürgerinitiative gegen den Verkauf hatte das Gotteshaus über die Landesgrenzen hinaus in die Schlagzeilen gebracht.

 (DR)

Der unter strengster Geheimhaltung ausgehandelte Vertrag zwischen Kirchengemeinde und jüdischer Kultusgemeinde sieht eine baldige Übergabe vor. Der genaue Kaufpreis wird zwar nicht genannt. Für Erwerb und Umbau werden jedoch 2,5 Millionen Euro veranschlagt, wie der Kirchenkreis Bielefeld am Montag erklärte. An den Kosten beteiligen sich danach das Land Nordrhein-Westfalen, die Stadt Bielefeld, der Landesverband Jüdischer Gemeinden. Rund 600.000 Euro seien Eigenmittel, erklärte die Bielefelder Jüdische Kultusgemeinde.

Die Übergabe an eine jüdische Gemeinde stieß bis in die Spitze der westfälischen Kirche hinein auf große Zustimmung. Dass ein aus finanziellen Gründen aufzugebendes Kirchengebäude weiter als Gotteshaus genutzt werde, sei trotz allem verständlichen Schmerz über den Verlust positiv, befand die Landeskirche.

Dennoch hatte das Projekt bis zuletzt auf der Kippe gestanden.
Eine Bürgerinitiative aus enttäuschten Gemeindemitgliedern stemmte sich drei Monate lang mit einer Besetzung gegen den Verkauf. Der Protest richte sich nicht gegen die jüdische Gemeinde, sondern gegen jeglichen Verkauf, versicherte die Initiative. Ende März waren einige ihrer Mitglieder nach dem letzten Gottesdienst auf den Kirchenbänken sitzen geblieben.

Die Evangelische Kirche von Westfalen entwidmete auf Antrag der Gemeinde das bisherige Gotteshaus. Danach war das Gebäude nach dem Kirchenrecht offiziell keine Kirche mehr.

In dem sich hinziehenden Konflikt hatte die Jüdische Gemeinde darauf verwiesen, dass es keinen Abschluss geben könne, so lange die Kirche besetzt sei. Bei allem Interesse wolle sie auch nicht "unendlich lange" warten, hatte der frühere westfälische Landesrabbiner Henry G. Brandt betont. Nun geht für die jüdische Gemeinde in Bielefeld eine mehrjährige Suche nach einem geeigneten Gebetshaus zu Ende. Denn der bisherige Standort aus den 50er Jahren ist nach dem Zustrom von Juden aus Osteuropa schon lange zu klein für die inzwischen 300 Mitglieder zählende Gemeinde.

Dass der Weg zur Umwandlung in eine Synagoge frei wurde, ist dem Verhandlungsgeschick von Altpräses Hans-Martin Linnemann zu verdanken. Beide Seiten hätten sich bewegt, würdigte der 76-jährige Theologe Ende Juni das Ergebnis eines bis in die Nacht dauernden Verhandlungsmarathons. Die Bürgerinitiative räumte die Kirche. An der Zusage, dass sie die Kirchenräume bis zum 12. September nutzen darf, soll auch mit dem Verkauf nicht gerüttelt werden.

Eine Synagoge in den Räumen einer früheren evangelischen Kirche ist in Deutschland eine Seltenheit. Einen vergleichbaren Fall gibt es bislang nur in Hannover: Dort hat eine evangelische Kirchengemeinde vor wenigen Monaten mit der Liberalen Jüdischen Gemeinde einen Vorvertrag über den Verkauf einer ehemaligen Kirche geschlossen.

Für den westfälischen Präses Alfred Buß und dem ehemaligen Landesrabbiner Brandt kann es kaum ein besseres Zeichen für einen Brückenschlag zwischen Christen und Juden in Deutschland geben. Es sei eine "historische Chance", dass nach 70 Jahren in Bielefeld wieder eine Synagoge entstehen kann, sagte Buß vor wenigen Wochen. Brandt, derzeit Rabbiner der Bielefelder Kultusgemeinde, wertete das Angebot der Kirche als Signal, "dass Juden in dieser Stadt wieder willkommen sind".