Kurienkardinal warnt amnesty vor Kurswechsel bei Abtreibung

Nur ein Missverständnis?

Zwischen der katholischen Kirchenleitung und der Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) ist ein Streit um die Bewertung von Abtreibungen entbrannt. Der vatikanische Sozialminister Kardinal Renato Raffaele Martino rief Katholiken und katholische Organisationen auf, amnesty nicht mehr zu unterstützen. In einer Presseerklärung des Päpstlichen Rates "Iustitia et Pax" betonte Martino, ai befürworte straffreie Schwangerschaftsabbrüche und verrate damit den Schutz der Menschenrechte.

 (DR)

amnesty wies die Kritik zurück. Ihre Organisation trete keineswegs für ein allgemeines Recht auf Abtreibung ein, betonte Vize-Generalsekretärin Kate Gilmore in London. Die jüngsten programmatischen Beratungen beträfen vielmehr Krisensituationen wie Vergewaltigung, andere schwere Menschenrechtsverletzungen und Gefahr für das Leben der Mutter. Mit ihrer Politik stehe amnesty auf der Seite der Opfer. Als Beispiel nannte Gilmore vergewaltigte Frauen im Sudan.

Gilmore betonte, amnesty erhalte von Millionen Einzelpersonen Zuwendungen. Auch die vielen Spenden von Katholiken seien willkommen. Sie hoffe, dass die Arbeit ihrer Organisation gegen Folter, Todesstrafe und für Rechtsstaatlichkeit weiter weltweite Unterstützung finde.

Im April hatte das Exekutivkomitee im April beschlossen, künftig weltweit dafür einzutreten, dass Abtreibungen straffrei bleiben sollen. Zudem sollten Schwangere nach Vergewaltigung, Inzest und bei Lebensgefahr ein Recht auf Abtreibung haben. Die kommende ai-Ratstagung, das höchste Beschlussgremium der Organisation, soll im August Beschlüsse zur Umsetzung dieser neuen Politik fassen.

Mord an einem Kind keine Fallentscheidung
Kurienkardinal Martino verurteilte diese Position scharf und bezeichnete Abtreibung als Mord. Alle "Menschen guten Willens"
hätten die Pflicht, sich ohne Einschränkung für den Schutz des ungeborenen Kindes einzusetzen. Über den "Mord" an einem Kind könne man nicht von Fall zu Fall entscheiden und ihn gegebenenfalls als "richtig" bewerten. "Gott sei Dank", so Martino, gebe es kein international anerkanntes Recht auf Abtreibung.

Dazu hieß es in Kurienkreisen, es handele sich nicht um eine Äußerung des Vatikan insgesamt, sondern um eine Stellungnahme des Präsidenten von "Iustitia et Pax". Martinos Äußerung dürfte eine nachdrückliche Warnung an die Organisation darstellen, ihre Position noch einmal zu überdenken, sagte ein Vatikan-Angestellter. In einem vergleichbaren Fall hatte der Vatikan 1996 dem UN-Kinderhilfswerk UNICEF die Unterstützung entzogen.

Die Grünen nannten die Aufforderung des Kardinals skandalös. Ein Boykott von amnesty würde die weltweite Menschenrechtsarbeit auch von kirchlichen Organisationen gefährden, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Volker Beck, in Berlin. Grünen-Chefin Claudia Roth sagte "Spiegel Online", der Vatikan sei "von allen guten Geistern verlassen". Er mache sich unfreiwillig zum Helfershelfer von Menschenrechtsverletzern. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) betonte, für sie sei das Recht auf Leben "das höchste zu schützende Recht und Menschenrecht Nummer eins".