Kontroverse um Heiligendamm - Gipfelergebnisse zu Klima und Afrika umstritten

Klimaexperten begeistert

Nach dem G8-Gipfel von Heiligendamm ist der innenpolitische Streit um die Bewertung der Ergebnisse voll entbrannt. Während Spitzenvertreter der Koalition und auch die Gewerkschaften das dreitägige Treffen in dem Ostseebad als Erfolg verteidigten, hielten Wirtschaftsexperten und Globalisierungskritiker das 100-Millionen-Euro-Ereignis für weitgehend substanzlos. Spitzenvertreter der Kirchen äußerten sich vorsichtig optmistisch.

 (DR)

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann zeigt sich im domradio froh über die "überraschenden Ergebnisse" des Gipfels. Jetzt käme es darauf an, "dass die Beschlüsse auch umgesetzt" würden. Proteste und Demonstrationen seien nicht umsonst gewesen.

Der Klima-Kompromiss von Heiligendamm wurde vom Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, als wichtiges Signal gewürdigt. Huber mahnte aber zugleich Nachbesserungen an: "Wir brauchen mehr als Absichtserklärungen."

Erzbischof Thissen: Konkrete Schlüsse nötig
Auch wenn sich das Treffen der G8-Staaten keinen „Heiligenschein" verdient habe - es war auch kein „Scheinheiligendamm". Mit diesem Wortspiel kommentierte der Hamburger Erzbischof Werner Thissen gestern Abend die Beschlüsse des G8-Treffens in dem Ostseebad. Aus den sehr allgemeinen Erklärungen müssten nun konkrete Schlüsse gezogen werden, erklärte der für Misereor zuständige Erzbischof. Gerade bei den entwicklungspolitischen Versprechen fällt die Bilanz des Treffens doch sehr dürftig aus, erklärt der G8-Experte von Misereor, Georg Stoll. Für Aidsbekämpfung wollen die reichsten Länder der Welt 60 Milliarden Dollar zur Verfügung stellen - ein Spiel mit großen Zahlen, so Stoll, denn: „Es wird nicht genannt, in welchen Zeitraum diese 60 Milliarden gezahlt werden sollen.

Klimaexperten begeistert
Der Klimaexperte Ernst Ulrich von Weizsäcker wertet die umweltpolitischen Beschlüsse des G8-Gipfels als unerwarteten Durchbruch. Er sei "begeistert und dankbar", sagte von Weizsäcker am Montag im Bayerischen Rundfunk. Beim Treffen der führenden Industrienationen und Russlands in Heiligendamm sei "sensationell viel" erreicht worden.

Bei den Vorgängertreffen in Gleneagles und St. Petersburg habe man kaum über das Thema Klimaschutz geredet. "Im Vergleich zur der Rhetorik der Republikaner vor einem Jahr ist das, was Bush jetzt gemacht hat, ein richtiges Erdbeben", sagte von Weizsäcker. Der US-Präsident habe akzeptiert, dass die UN verantwortlich seien, was den Amerikanern äußerst schwer falle. "Mehr war da auf keinen Fall drin", füte der Klimaexperte hinzu. Die US-Regierung sei jetzt "von innen heraus" unter einem starken Druck, mehr für den Klimaschutz zu tun. Das alles sei noch nicht genug, so von Weizsäcker, aber es sei mehr als man erwarten habe können.

Auch der renommierte Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber warnte davor, die Klimaerklärung des G8-Gipfels klein zu reden. Die führenden Industrienationen hätten mit Heiligendamm einen "Durchbruch" erzielt, sagte der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Chef-Klimaberater der Bundesregierung.

Ambitioniertere Ziele nötig
Der Direktor des UN-Umweltprogramms, Achim Steiner, forderte die Weltgemeinschaft auf, den Treibhausgasausstoß bis 2050 um deutlich mehr als die geplanten 50 Prozent zu senken. Das Ziel müssten eher 60 bis 70 Prozent sein. Für das Kyoto II-Protokoll, das von 2013 bis 2020 gelten soll, würden ambitionierte Ziele benötigt.

Für den Vorsitzenden der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, Hubertus Schmoldt, ist der Klimakompromiss eine gute Grundlage. Man hätte sich zwar "auch verbindlichere Vereinbarungen vorstellen können". Vor dem Hintergrund, "dass bislang überhaupt nichts möglich war", sei aber ein Fortschritt erreicht worden. Dies sollten auch jene Politiker bedenken, "die jetzt nur daran herumkritteln".

Eigenen Ziele jetzt durchsetzen
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) forderte unterdessen die zügige Durchsetzung der eigenen Klimaziele in Deutschland. Gabriel, der die Klimaschutzkompromiss gegen alle Kritik in Schutz nahm, mahnte eine Vorreiterrolle Deutschlands an. Die Schwellen- und Entwicklungsländer würden jetzt sehr genau hinschauen, ob die Europäer nur von anderen Staaten etwas forderten oder ob sie das, was sie versprechen - nämlich wirtschaftlichen Wohlstand und Klimaschutz zusammenzubringen - selbst einlösten.

SPD-Chef Kurt Beck rief dazu auf, weltweit ehrgeizige Ziele durchzusetzen. Es müsse darum gehen, den Kohlendioxidausstoß bis 2050 zu halbieren. Deutschland mit seinem "großen Technologievorsprung" bei der umweltschonenden Energiegewinnung, Luftreinhaltung und Energieeinsparung müsse vorangehen.

Vereinbarungen zur Entwicklungshilfe reichen nicht
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus F. Zimmermann, kritisierte die Afrikabeschlüsse des Gipfels scharf. Mehr Entwicklungshilfe sei nur "ein Ablass für die eigenen Sünden der Industriestaaten" und lasse Afrika in seiner Unterentwicklung verharren. Die Vorstandsvorsitzende der Deutschen Welthungerhilfe, Ingeborg Schäuble, nannte die Ergebnisse zu unverbindlich und ernüchternd.

Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) regte einen "Solidarpakt Afrika" an. Dafür könnten Mittel des "Solidarpakts Ost" bereitgestellt werden. "In einer globalisierten Welt wäre es sinnvoll, die 'bundesstaatliche Solidarität' über den nationalen Rahmen hinaus zu erweitern".

Der frühere CDU-Generalsekretär und Neu-Attac-Mitglied Heiner Geißler zog eine gemischte Bilanz des G8-Gipfels. Für Merkel sei er überwiegend ein Erfolg. "Gemessen an den Aufgaben, die sich uns stellen, hat er natürlich das Ziel nicht erreicht", fügte Geißler hinzu. Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) schlug derweil vor, den nächsten G8-Gipfel in Afrika zu veranstalten. Das würde allen Beteiligten die Probleme der Welt "besser vor Augen führen".