Gipfelkritik gerechtfertigt - Kirche mahnt zur Besonnenheit

Erstes Urteil nach den Krawalle in Rostock

Drei Tage nach den schweren Krawallen am Rande der G8-Proteste in Rostock ist der erste festgenommene Randalierer verurteilt worden. Die Organisatoren der Demonstrationen wollen mit der Polizei zusammenarbeiten, um weitere Ausschreitungen zu verhindern. Erzbischof Thissen ermahnt alle Beteiligten zur Besonnenheit. Äußerte aber auch Verständnis für die Anliegen der Kritiker.

 (DR)

Das Rostocker Landgericht verurteilte den 31-Jährigen aus Baden-Württemberg zu zehn Monaten Gefängnis ohne Bewährung, wie eine Gerichtssprecherin sagte. Der Mann war wegen versuchter Körperverletzung und schwerem Landfriedensbruch angeklagt.

In weiteren Schnellverfahren stehen am Mittwoch weitere acht Angeklagte vor Gericht, darunter eine Frau. Sie kommen aus Deutschland, Spanien, Belgien, Polen und der Ukraine und müssen sich wegen Körperverletzung und Landfriedensbruchs verantworten. Ein weiterer Beschuldigter muss unter anderem wegen Vorstrafen mit einer Strafe von mehr als einem Jahr Haft rechnen und kann daher nicht in einem beschleunigten Verfahren verurteilt werden.

Neue Gewalt
Auch am Montag waren weitere 50 Polizisten bei Protestaktionen leicht verletzt worden. Im Verlauf habe die Polizei am Montag insgesamt 66 Personen vorläufig in Gewahrsam genommen, sagte der Sprecher.

Kardinal Lehmann sagte in Bezug auf die gewalttätigen Proteste im DeutschlandradioKultur, es sei traurig, dass es nicht gelinge, die echten Anliegen von den gewalttätigen Protesten zu trennen.

Organisatoren wollen mit der Polizei zusammenarbeiten
Nach den Ausschreitungen bei Demonstrationen gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm haben die Organisatoren der ab Mittwoch geplanten Massenblockaden der Polizei eine engere Zusammenarbeit angeboten. Als neutraler Moderator für ein Gespräch mit der Einsatzleitung habe sich der Landessuperintendent der evangelischen Kirche in Rostock, Matthias Kleiminger, bereit erklärt, teilte die Kampagne "Block G-8" am Montag in der Hansestadt mit. Die Gipfel-Gegner seien sehr daran interessiert, die Situation in Vorbereitung auf die Aktionen zu entspannen.

Polizeisprecher Axel Falkenberg betonte, die Polizei erwarte von den Demonstranten, "dass sie sich sehr deutlich von den Gewalttätern distanzieren". Er kritisierte jedoch, dass "einige der friedlichen Demonstranten nicht verstehen, dass Gewaltbereite hier sind, um nicht gegen den G8 zu protestieren, sondern sich mit der Polizei auseinanderzusetzen".

Bei Kooperationsgesprächen mit Globalisierungskritikern von der Kampagne "Block G8" seien "phantasievolle Blockaden" angekündigt worden. Falkenberg hob jedoch hervor, bei Behinderungen der Delegationen werde die Polizei sofort "entsprechend reagieren und polizeiliche Maßnahmen ergreifen".

Kirche mahnt zur Besonnenheit
Nach den Ausschreitungen in Rostock hat die katholische Kirche die Gipfel-Kritiker zu Besonnenheit ermahnt. Der für die Stadt zuständige Hamburger Erzbischof Werner Thissen sagte am Montag, die Demonstranten sollten ihre Anliegen weiter deutlich machen, sich aber von Gewalttätern distanzieren. Der Vorsitzende der Weltkirche-Kommission der Bischofskonferenz, Bambergs Erzbischof Ludwig Schick, wandte sich gegen ein Demonstrationsverbot; ein solches wäre trotz der "absolut inakzeptablen" Gewalt eine Überreaktion.

Es sei durch nichts zu rechtfertigen, dass fast 1.000 Personen verletzt wurden, sagte Schick in Aachen. Die Gewalt müsse "mit allen Möglichkeiten des Rechtsstaats" unterbunden werden.
Christliche G-8-Kritiker sollten sich von den Gewalttätern distanzieren und mit der Polizei zusammenarbeiten. Wenn möglich sollten sie das Gespräch mit den Autonomem suchen und mäßigend auf sie einwirken.

Kritik an G8-Gipfel gerechtfertigt
Thissen bezeichnete das Ausmaß der Gewalt als erschreckend.
Zugleich zeigte der für das katholische Entwicklungshilfswerk Misereor zuständige Bischof Verständnis für den Protest. Bei den vergangenen G-8-Gipfeln sei viel versprochen, bisher aber wenig gehalten worden. "Darauf weisen kirchliche Kritiker zu Recht hin." Als Beispiel nannte er die Selbstverpflichtung der Industriestaaten, den Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt bis zum Jahr 2015 auf 0,7 Prozent zu erhöhen.

Ruf nach härterer Gangart der Polizei
Unions-Politiker für GSG-9-Einsatz gegen Randalierer
Nach den Rostocker Krawallen zum G8-Gipfel in Heiligendamm dringen Politiker der Koalition auf ein schärferes Vorgehen gegen gewalttätige Demonstranten. Abgeordnete von CDU und CSU bringen den Einsatz der Anti-Terror-Einheit GSG 9 ins Gespräch. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) kündigte bereits eine Änderung der Deeskalationsstrategie der Ordnungskräfte an. Der schleswig-holsteinische Innenminister, Ralf Stegner (SPD), warnte dagegen vor einer härteren Gangart der Polizei.

Der innenpolitische Sprecher der CSU im Bundestag, Stephan Mayer, und der CDU-Bundestagsabgeordneten Ole Schröder forderten den Einsatz der GSG 9, nach Einschätzung Schröders ist die Polizei damit überfordert, der Gewalttäter im "schwarzen Block" Herr zu werden. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sollte deshalb im Wege der Amtshilfe den Einsatz der GSG 9 anbieten.

Auch der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Sebastian Edathy (SPD) trat für ein härteres polizeiliches Vorgehen gegen Gewalttäter ein. "Es sollte geprüft werden, ob wir bundesweit den Einsatz von Gummigeschossen zum Selbstschutz der Polizisten in besonderen Gefahrensituationen erlauben", sagte Edathy. Er reagierte damit auf Forderungen der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) , alle Hundertschaften der Polizei mit wirksamen Distanzwaffen auszustatten.

Polizei will Einsatzstrategie bei G8-Demonstrationen ändern
Nach Angaben der Polizeigewerkschaft (DPolG) werden die Ordnungskräfte ihre Deeskalationsstrategie ändern. "Die Polizei vor Ort wird jetzt mit Sicherheit mehr Präsenz zeigen und auch näher am Geschehen sein, um rechtzeitig reagieren zu können", kündigte Gewerkschaftschef Wolfgang Speck an. "Falls es zu weiteren Ausschreitungen kommt, wird der schwarze Block gezielt getrennt und isoliert, um die Gewalt kontrollieren zu können", fügte er hinzu. Bei einer Zunahme der Gewalt schließt er auch einen Schusswaffeneinsatz nicht aus: "Wenn ein Kollege in Lebensgefahr gerät, kann es zu einer solchen Situation kommen."

Kritik übte der Chef der DPolG nach den Schwierigkeiten bei der Koordination des Polizeieinsatzes vor allem an der mangelhaften Ausrüstung der Polizei. Der analoge Polizeifunk sei "vorsintflutlich" und gehöre "ins Museum". Als Konsequenz müsse der digitale Polizeifunk jetzt ohne Verzögerung eingeführt werden.

Gewalt hat neue Dimensionen erreicht
Die Gewaltbereitschaft der Demonstranten habe jedoch neue Dimensionen erreicht: "Die Gewalttäter haben neben Pflastersteinen und Holzlatten sogar Stichwaffen eingesetzt, um Beamte anzugreifen. Diese Gewaltexzesse haben wir in Deutschland bisher nicht gekannt", sagte Speck.

Der schleswig-holsteinische Innenminister, Ralf Stegner (SPD) warnte dagegen vor einer härteren Gangart. Das Recht auf Demonstrationen sollte auf keinen Fall weiter eingeschränkt werden, sagte er. Wenn sich viele friedliche Demonstranten an den Protesten beteiligten, "sind die Gewalttäter in der Minderheit und damit ohne Chance". Stegner forderte von den Organisatoren der G8-Proteste, "dass sie sich klar mit der Polizei solidarisieren". Die Polizei verteidige das Recht, "auch das auf Demonstrationen". Deshalb gebe es keine Alternative zur Deeskalationsstrategie.