Jesuiten: Auch Deutschland vernachlässigt Flüchtlinge

Europa am Asyl-Pranger

Abgelehnte Asylbewerber und illegale Ausländer erleben in der EU nach Einschätzung des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes (JRS) massive Menschenrechtsverletzungen. So seien ihre Gesundheitsversorgung und Unterbringung oftmals unzureichend, kritisiert JRS-Leiter Martin Stark im domradio-Interview. Der Dienst hatte am Dienstag seinen Bericht zur europäischen Asylpolitik vorgestellt. Darin steht auch Berlin am Pranger.

 (DR)

Vorwurf: Gesundheitsversorgung nur bei akuten Erkrankungen
Geduldete oder illegale Einwanderer hätten kaum Zugang zur Gesundheitsversorgung, hieß es im Kapitel über Deutschland.
Die Flüchtlingsorganisation übt scharfe Kritik am Vorgehen deutscher Behörden. So wird der Bundesrepublik vorgeworfen, Gesundheitsversorgung nur bei akuten Erkrankungen zu gewähren.

Chronische Leiden von abgelehnten Asylbewerbern blieben dagegen unversorgt. Es sei auch nicht hinnehmbar, dass Sozialämter darüber entschieden, ob eine akute Erkrankung vorliegt, so die Organisation.

Die Bundesrepublik müsse über Gesetzesreformen sicherstellen, dass alle Menschen Zugang zu Ärzten, Nahrung, Unterkunft und Bildung hätten. Diese Grundversorgung dürfe nicht vom Aufenthaltsstatus abhängen.

Grundlegende Rechte verweigert
Der JRS appelliert an die EU-Staaten, der wachsenden Zahl von Ausländern, die nicht abgeschoben werden könnten, Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse zu erteilen. Das gelte auch für illegal Eingewanderte, die nicht in ihr Herkunftsland abgeschoben werden können. Für die Studie wurde die Lage von Ausländern in acht EU-Staaten untersucht.

Die in Deutschland wie in zahlreichen anderen EU-Staaten praktizierte Duldung dieser Personengruppe führe zu einer neuen Klassengesellschaft, beklagte der Flüchtlingsdienst. Die Betroffenen seien von der Hilfe von Wohlfahrtsorganisationen abhängig, grundlegende soziale Rechte würden ihnen verweigert.

Auch wenn viele EU-Staaten diese Rechte zum Teil gesetzlich garantierten, sehe es in der Praxis anders aus. Derzeit zögen viele illegale Einwanderer aus Angst, in ihr Herkunftsland zurückgeschickt zu werden, ein Leben in absoluter Armut vor.

Menschwürde geht schrittweise verloren
Auch würden die Betroffenen leicht Opfer von Ausbeutung, weil sie Arbeit zu allen Bedingungen annähmen. Zu Armut und Unterversorgung kämen oft Depressionen und gesellschaftliche Isolierung hinzu. Durch die völlige Abhängigkeit von anderen verlören die Betroffenen schrittweise ihre Menschenwürde, heißt es in dem 170-seitigen Bericht.

Mit Blick auf die deutsche Ausländerpolitik verlangt der Jesuiten-Flüchtlingsdienst weiter, den abgelehnten Asylbewerbern Bildungschancen einzuräumen, Arbeitserlaubnisse zu erteilen und statt Lebensmittelgutscheinen Bargeld für Nahrungsmittel zu gewähren.

Der Bleiberechts-Kompromiss der großen Koalition wird vom JRS kritisiert, weil er nur einen Ausweg für einen kleinen Teil der Betroffenen biete. Aufenthaltserlaubnisse müssten all jene erhalten, die über mehr als drei Monate hinweg nicht abgeschoben werden könnten.