SPD und Union streiten über Mindestlohn

Arm trotz Arbeit

Kurz vor dem Treffen der Koalitionsspitzen im Kanzleramt hat Bundeskanzlerin Angela Merkel erneut einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn abgelehnt, zugleich aber Kompromissbereitschaft erkennen lassen. Merkel bekundete aber die Bereitschaft der CDU, weitere Branchen in das Entsendegesetz aufzunehmen, um tarifliche Mindestlöhne für allgemeinverbindlich zu erklären. Auch Wirtschaftswissenschaftler prophezeien: "der Mindestlohn koste hunderttausende Arbeitsplätze."

 (DR)

Bereitschaft zu branchenspezifischen Mindestlöhnen
In welchen Branchen dies der Fall sein werde, werde der Koalitionsausschuss am Abend allerdings nicht festlegen. Es müsse abgewartet werden, welche Tarifparteien zur Festlegung von Mindestlöhnen bereit seien und einen Antrag auf Allgemeinverbindlichkeit erklärten. Bisher gibt es nur in der Baubranche und im Gebäudereinigerhandwerk solche Mindestlöhne.

Keine sittenwidrigen Löhne
Die Union ist ferner bereit, die Sittenwidrigkeit von Löhnen gesetzlich zu regeln. Verboten wären demnach Löhne, die zwei Drittel des branchenspezifischen ortsüblichen Lohnes unterschreiten.

Merkel unterstrich, die Union wolle die Tarifautonomie stärken. Ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn wäre nicht die richtige Antwort, um mehr Arbeitsplätze schaffen zu können. Sie verwies zugleich darauf, dass in europäischen Ländern mit Mindestlöhnen die Tarifautonomie weniger ausgeprägt sei als in Deutschland. Die Mindestlohndebatte bezeichnete Merkel deshalb als "sehr gut", weil sie dazu führen könne, dass die Tarifparteien zum Teil dazu überhaupt wieder ins Gespräch kämen.

Mindestlöhne kosten Arbeitsplätze
Auch die CSU will im Koalitionsstreit um Mindestlöhne hart bleiben. Parteichef Edmund Stoiber lehnte am Montag vor einer Sitzung des CSU-Vorstands in Rosenheim einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn strikt ab. Er warnte, die Forderung der SPD habe eine weitere Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland zur Folge.

Der Vorsitzende des Sachverständigenrats, Bert Rürup, sagte der "Bild"- Zeitung (Montagausgabe): "Jeder Mindestlohn über fünf Euro führt mit Sicherheit zu Jobverlusten, die insbesondere Ostdeutschland spürbar betreffen würden."

"Moralapostel" pflegen "falsche Gerechtigkeitsgefühle"
Durch Mindestlöhne könnten "Hunderttausende ihren Job verlieren, während einige gut verdienenden Moralapostel ihre falschen Gerechtigkeitsgefühle pflegen", fürchtet der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann. Mindestlöhne behindern seiner Ansicht nach den Aufschwung, denn sie führten entweder zu höheren Preisen oder über steigende Arbeitslosigkeit zu niedrigeren Einkommen.

Das befürchtet auch der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt, und sprach sich gegen Mindestlöhne aus. Jede Form eines gesetzlichen Mindestlohns koste hunderttausende Arbeitsplätze. Die "außerordentlich hohe" Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich sei "ganz entscheidend" auf den Mindestlohn zurückzuführen. Er könne der großen Koalition nur raten, die Finger davon zu lassen.

Hartz IV ist "faktischen Mindesteinkommen"
Hundt räumte ein, es gebe Arbeitsplätze mit "sehr, sehr niedriger Bezahlung". Immerhin seien Menschen damit aber noch beschäftigt. Mit dem Arbeitslosengeld II gebe es in Deutschland ein "faktisches Mindesteinkommen".

Staat muss "menschenunwürdige Löhne" verhindern
DGB-Chef Michael Sommer hat dagegen an Union und SPD appelliert, sich im Koalitionsausschuss an diesem Montag doch noch auf Mindestlöhne in Deutschland zu verständigen. "Der DGB erwartet, dass die große Koalition in Sachen Mindestlohn endlich Nägel mit Köpfen macht", sagte Sommer der "Frankfurter Rundschau" (Montagausgabe). "Es ist - neben den Tarifparteien - auch Aufgabe des Staates, in einer sozialen Marktwirtschaft menschenunwürdige Löhne zu verhindern", betonte Sommer.

Mindestlöhne - nicht unter 7,50 Euro
Laut einer neuen Studie des DGB hat sich die Zahl der Menschen, die nicht von ihrem Erwerbseinkommen leben können, seit der Einführung von "Hartz IV" um rund 80 Prozent auf mehr als 1,1 Millionen erhöht. Damit seien inzwischen mehr als ein Fünftel der "Hartz IV"-Empfänger trotz Arbeit auf aufstockende Leistungen angewiesen.

Der DGB-Vorsitzende warnte auch vor einem faulen Kompromiss. Benötigt werde ein "einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn, der 7,50 Euro nicht unterschreiten darf". Die Diskussion über sittenwidrige Löhne nannte Sommer "ein reines Ablenkungsmanöver". Union und SPD erwägen, die bisher von Gerichten vorgenommene Definition sittenwidriger Löhne gesetzlich zu regeln.

Hartz IV hat den Druck auf die Menschen erhöht, auch niedrig entlohnte
Tätigkeiten anzunehmen. Daher fordern auch Erwerbslosen-Initiativen die Einführung von Mindestlöhnen. Wie in fast in allen europäischen Ländern sei auch in Deutschland ein Mindestlohn notwendig, heißt es in einer am Montag in Iserlohn veröffentlichten Erklärung des nordrhein-westfälischen Landestreffen der Erwerbslosen. Die unterste Grenze solle 7,50 Euro betragen. Die Erwerbslosen-Initiativen forderten zudem eine Anhebung des Regelsatzes für Hartz-IV-Empfänger von 345 Euro auf 420 Euro.

Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts, wies darauf hin, dass nach Berechnungen seines Instituts ein Mindestlohn von 6,50 Euro zum Verlust von 465 000 Arbeitsplätzen führen würde. Bei 7,50 Euro wären es sogar 621 000 Stellen.

Die SPD will eine Öffnung des Entsendegesetzes für alle Branchen und einen
Auffangmindestlohn für alle Fälle, in denen es keine Tarifvereinbarung gibt, erreichen.