Erzbischof Werner Thissen zu den Erwartungen der Kirche an den G(-Gipfel

"Haltet Eure Versprechen"

Vom 6. bis 8. Juni treffen sich die Staats- und Regierungschefs der acht führenden Industrienationen im Ostseebad Heiligendamm.
Unter Motto "Haltet Eure Versprechen" begleitet das katholische Hilfswerk Misereor den G-8-Gipfel. Der Hamburger Erzbischof Werner Thissen, Misereor-Beauftragter der deutschen Bischöfe, äußerte sich in einem Interview am Montag in Hamburg über die drängendsten Probleme der Entwicklungspolitik, die Erwartungen an das Treffen und das kirchliche Begleitprogramm in Heiligendamm.

 (DR)


Herr Erzbischof, was erwarten die Kirchen vom Gipfel?

Thissen: Die G-8-Staaten sind keine Weltregierung. Dazu haben sie kein Mandat. Aber auf Grund ihrer politischen und wirtschaftlichen Macht tragen sie eine große Verantwortung für die Weltgemeinschaft. Deshalb erwarte ich, dass Politiker ihre Verantwortung wahrnehmen. Wirtschaftswachstum ist kein Selbstzweck, sondern muss der menschlichen Entwicklung dienen.
Konkret gehört dazu die Umsetzung der Selbstverpflichtung zur Entwicklungsfinanzierung, die Fortführung der Entschuldung armer Länder und der entschiedene Kampf gegen Korruption.

Zu den Themen zählt auch die Entwicklung Afrikas. Was sind die drängendsten Probleme auf dem Schwarzen Kontinent?

Thissen: Die Bekämpfung der Armut bleibt eine zentrale Aufgabe für Afrika und die internationale Gemeinschaft. Nur beide zusammen können diesen Kampf gewinnen. Die Region südlich der Sahara wird kein einziges der UN-Millenniumsziele erreichen, wenn es so weiter geht. Dafür gibt es vielfältige Ursachen, etwa die Infrastruktur, Gesundheitsversorgung, Bildung, die hohe Verschuldung. Dazu kommen die vielen Opfer von Aids und anderen Krankheiten, gewaltsame Konflikte, Korruption und eine nicht transparente Regierungsführung. In jedem Fall müssen die G-8-Staaten handeln, denn die Zeit drängt.

Sie haben unlängst an mehreren Gesprächen mit der Bundesregierung teilgenommen. Ist die Koalition sensibel für entwicklungspolitische Fragen und kann die Kirche Einfluss nehmen?

Thissen: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul haben ein hohes Verantwortungsbewusstsein. Sie wissen, worüber sie reden, haben eine genaue Kenntnis der Not und den entschiedenen Willen zum Handeln. Mir wurde deutlich, dass der Einfluss der Kirchen nicht gering ist. Demokratie handelt im Auftrag des Volkes, und wenn sich starke gesellschaftliche Gruppen dafür einsetzen, dass den Armen im Süden geholfen wird, ist das für Politiker, die das ebenfalls wollen, ein gutes Signal. Politik und Kirche können hier in je eigener Verantwortung zusammenwirken.

Frau Wieczorek-Zeul hat sich jüngst optimistisch über die Erreichung der UN-Millenniumsziele geäußert. Wie ist Ihre Einschätzung?

Thissen: Die Ziele sind keine utopischen Visionen, sondern erreichbare Markierungen auf dem Weg zu weniger Armut und mehr Gerechtigkeit in unserer Welt. Die Mittel sind vorhanden. Aber es muss auch der politische Wille da sein, um sie einzusetzen. Als Kirche beteiligen wir uns daran, diesen Willen zu mobilisieren.
Wenn Politiker sich optimistisch äußern, freut mich das, denn es liegt ja maßgeblich in ihrer Hand, dass das auch geschieht.

Zurück nach Heiligendamm. Sie sind Mecklenburger Ortsbischof und zugleich Misereor-Beauftragter der Bischofskonferenz. Wie werden die Kirchen beim Gipfel präsent sein?

Thissen: Zunächst laden wir die Menschen zum Gebet ein. Bei einem ökumenischen Gottesdienst werden 30.000 Kerzen brennen als unübersehbares Signal für die 30.000 Kinder, die täglich an Hunger und Krankheit sterben. Es gibt zudem zahlreiche Foren, an denen auch kirchliche Gruppen beteiligt sind. Der Alternative Gipfel in Rostock benennt als Forum der Zivilgesellschaft Erwartungen, Forderungen und Kritik. Dabei wird sicherlich auch Bezug genommen werden auf den Briefwechsel zwischen Papst Benedikt XVI. und der Kanzlerin, die sich beide sehr für Entwicklungszusammenarbeit einsetzen. Katholische Jugendverbände werden das Anliegen ebenfalls vor Ort vorbringen.

Beim G-8-Gipfel 1999 in Köln waren die Regierungschefs mitten in der Stadt. Nun verschwinden sie hinter einem Kilometer langen Zaun. Wie empfinden Sie das?

Thissen: Das ist natürlich paradox. Auf der einen Seite sollen Grenzen und Schranken abgebaut werden, auf der anderen Seite ist das nur hinter Zäunen möglich. Frau Merkel hat in unseren Gesprächen darauf hingewiesen, wie sehr sie das bedrückt. Aber zum anderen sei die Abschirmung notwendig, weil sie der Sicherheit der Gäste diene. Von daher habe ich Verständnis für den Zaun, so bedrückend er auch ist. Die Politiker sollten das durch größtmögliche Transparenz ausgleichen und offen legen, wie den armen Menschen auf der Welt am besten geholfen werden kann.

Es gibt bereits vor dem Gipfel heftige Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Globalisierungsgegnern. Erfüllt Sie das mit Sorge?

Thissen: Ja. Der Begriff Globalisierungsgegner umfasst dabei ganz verschiedene Gruppen. Für die, die generell gegen Globalisierung sind, habe ich kein Verständnis. Ich sehe Globalisierung als Chance und Notwendigkeit. Aber es gibt auch jene, die auf mehr Hilfe für die Menschen im Süden pochen und sich gegen eine Globalisierung wenden, die nicht auf Augenhöhe geschieht. Ich hoffe sehr, dass es in Heiligendamm friedlich zugeht. Jene, die den Gipfel für ihre militanten Zwecke nutzen wollen, sollten möglichst vorher abgehalten werden.

Das Interview führte Bernd Buchner für die Katholische Nachrichtenagentur(KNA).