Nordirland: Friedensforscher im domradio zur neuen Regierung

"Blair war die Hebamme des Friedensprozesses"

Nach fast fünf Jahren unter britischer Zentralherrschaft hat Nordirland seit heute eine eigenständige Regierung. "Die Briten hatten sich nie um den Nordirland-Konflikt gekümmert - bis Tony Blair kam", sagt Dr. Bernhard Moltmann von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Im domradio analysiert er die neue Situation.

 (DR)

domradio: Nach der Vorgeschichte - wie konnte diese neue Regierung zustande kommen?

Dr. Bernhard Moltmann: "Der neue Ministerpräsident Ian Paisley weigert sich immer noch, seinem Kontrahenten Martin McGuinness die Hand zugeben. Er sagt: 'Wir wollen hier keinen Schmusekurs, sondern gemeinsame Sache machen.' Und genau das ist der Grund, warum es funktioniert, bzw. funktionieren kann. Das ist ja erst ein Startpunkt, ein Ergebnis ist noch nicht abzusehen. Die Unionisten haben anerkannt, dass die Nationalisten und Republikaner den Status Nordirlands als Teil der Britischen Union akzeptiert haben. Und die Nationalisten und Republikaner haben erkannt, dass sie die Briten und Unionisten nicht ins Meer werfen können. Beide Seiten haben den Status Quo akzeptiert. Und dass dies jetzt gerade passiert, ist vielleicht ein Zufall der Geschichte."

domradio: Welche Rollen spielen die Konfessionen heute noch?

Dr. Bernhard Moltmann: "Die Gegnerschaft von Katholiken und Protestanten diente in der Geschichte des Nordirland-Konfliktes immer dazu, die beiden Lager zu etikettieren. Eigentlich stehen sie aber für die historischen Verwerfungen, die diesem Konflikt zugrunde liegen. Die Katholiken stehen für die ortsansässige, angestammte und ursprüngliche Bevölkerung dieses Teils Irlands. Und die Protestanten sind diejenigen, die im 16. Jahrhundert aus Schottland als Siedler ins Land gekommen sind - und damit diesen Teil zur ersten britischen Kolonie gemacht haben. Der Gegensatz zwischen Protestanten und Katholiken markiert eigentlich bis heute die tragische Dimension der Dekolonialisierung des britischen Reiches."

domradio: Welches ist das wichtigste Ziel der neuen Regierung?

Dr. Bernhard Moltmann: "Sie muss erstmal ihren eigenen Laden in Schwung bringen - von London aus wurde Nordirland mehr oder weniger geringschätzig verwaltet. Das Land muss die Folgen der Deindustrialisierung aufholen; was die irische Republik bereits erreicht hat. Aber das größte Problem: Die neue Regierung muss die Schatten der Vergangenheit wegräumen. Das wird sich zum Beispiel an der Frage nach einem gemeinsamen Denkmal für die Opfer des Bürgerkrieges mit mehr als 3.500 Toten zeigen."

domradio: Welche Position fällt jetzt Englands Premier Tony Blair zu?

Dr. Bernhard Moltmann: "Blair war die Hebamme des Friedensprozesses. Er hat sich mehr als jeder britische Premierminister zuvor um Nordirland gekümmert. Die Briten hatten sich sonst immer von Nordirland fern gehalten. Aber als Blair 1997 sein Amt antrat, ging seine erste Reise nach Belfast. Im Schatten des Nordirlandkonfliktes hat sich außerdem das Verhältnis zwischen England und Irland normalisiert - auch ein großer Gewinn."

domradio: Kann die neue Regierung wirklich etwas bewegen?

Dr. Bernhard Moltmann: "Nordirland ist ein kleines Land; so groß wie Schleswig-Holstein, nur halb so viele Einwohner. Es gibt also eine große Nähe - sowohl persönlich wie auch räumlich. Und diese Nähe ist noch immer unterbrochen durch Grenzen der Vergangenheit. Es kommt darauf, ob die Menschen ihre Lagermentalitäten hinter sich lassen können."