Die CDU stellt ihr neues Grundsatzprogramm vor - Geißler kritisiert Entwurf als zu wirtschaftsfreundlich

Leitkultur, Familie, Tierschutz

Ein Kampfbegriff wird programmatisch. "Leitkultur"
taucht im Entwurf des Grundsatzprogramms der CDU auf, den Generalsekretär Ronald Pofalla am Dienstag vorgestellt hat. Zwei Mal. Mit dem Begriff bündeln die Autoren Umschreibungen zu Gemeinsinn und Integration, Nation, Patriotismus, zum "klaren Bekenntnis" zu Geschichte und Kultur und deutscher Sprache. Nicht alle sind damit einverstanden.

 (DR)

"Volkspartei der Mitte"
Vielleicht verständigte sich die Kommission auf diese Wortwahl, weil der Text andernorts von bisherigem CDU-Profil abkehrt. Einiges ist richtig neu. Die Unterschiede vom Hamburger Programm "Freiheit in Verantwortung" von 1994 zum Ludwigshafener Programm von 1978 waren, was das Profil angeht, weit geringer.

"Die Christliche Demokratische Union Deutschlands ist die Volkspartei der Mitte. Sie wendet sich an alle Menschen in allen Schichten und Gruppen unseres Landes. Unsere Politik beruht auf dem christlichen Verständnis von Menschen und seiner Verantwortung vor Gott..." Mit diesen Worten beginnt, nach der Präambel, der Entwurf, der der Katholischen Nachrichten-Agentur
(KNA) vorliegt.

Fünf Zeilen weiter kommt - erstmals in einem solchen Text - der Hinweis, dass die CDU das "gemeinsame Handeln von Christen und Andersgläubigen und Nichtglaubenden" eine, die die Würde und Freiheit des Menschen anerkennten und politische Überzeugungen bejahten. Das christliche Verständnis vom Menschen gebe die ethische Grundlage für verantwortliche Politik. "Dennoch wissen wir, dass sich aus christlichem Glauben kein bestimmtes politisches Programm ableiten lässt."
Aus kirchlicher Sicht fehlen vor allem konkrete Aussagen zu anstehenden ethischen Entscheidungen, kritisiert Robin Mishra vom Rheinischen Merkur im domradio Interview den Entwurf.

Erstmals Tierschutz
Diese ethische Grundlage - etwa beim Lebensschutz - wird nicht durch konkrete Politik ausgelegt. Erwartungsgemäß tauchen Begriffe wie Abtreibung oder Stammzellforschung nicht im Entwurf auf. Aber bemerkenswert ist, dass vom ungeborenen Leben einmal - beim christlichen Menschenbild - die Rede ist und - Thema Spätabtreibung - eigens das "behinderte noch nicht geborene Leben" einmal angesprochen wird. Im Programm von 1994, das insgesamt kürzer war, fand das ungeborene Leben vier Mal Erwähnung. Der "Tierschutz" taucht 2007 erstmals explizit auf, Lebensschutz als Begriff nicht mehr.

An mehreren Stellen nimmt die Vorlage, aus der bis zum Parteitag Anfang Dezember der endgültige Text werden soll, Bezug auf die Grundfragen der Biomedizin und Gentechnik. "Die Freiheit der Forschung findet ihre Grenzen dort, wo die unantastbare Würde des Menschen berührt oder die Schöpfung gefährdet ist", heißt es im forschungspolitischen Teil. 20 Seiten zuvor werden bei den aktuellen Herausforderungen ethische Grenzen, die "gewissenlose Vermarktung", die Unantastbarkeit der Menschenwürde genannt. Die knappe Erinnerung an Heilung von Krankheiten, an die Linderung von Leid wird die Forschungsfreunde der CDU nicht zufriedenstellen.

Die Ehe als "Leitbild der Gemeinschaft von Mann und Frau"
Ziemlich stolz, so wirkte es am Montag, sind die Christdemokraten auf neue Positionen bei der Familienpolitik. Pofalla, JU-Chef Philipp Mißfelder, CDA-Chef Karl Laumann äußerten sich dazu schon vor der Textveröffentlichung. Das Elterngeld taucht auf. Entgegen Überlegungen vom Herbst wird der Erhalt des Ehegattensplittings betont, das zu einem Familiensplitting "erweitert" werden solle.

"Familie ist überall dort, wo Eltern für ihre Kinder und Kinder für Eltern dauerhaft Verantwortung tragen", heißt es. Die Ehe sei das Leitbild der Gemeinschaft von Mann und Frau, die beste und verlässlichste Grundlage für das Gelingen von Familie. Das wird umfassend entfaltet, bis es heißt: "Wir respektieren die Entscheidung von Menschen, die in anderen Formen der Partnerschaft ihren Lebensentwurf verwirklichen." Denn auch in nicht-ehelichen Partnerschaften von Mann und Frau und gleichgeschlechtlichen Partnerschaften würden Werte gelebt. Eine Gleichstellung mit der Ehe lehne die CDU jedoch ab.

Pofalla: Freiheit und Sicherheit im Mittelpunkt des CDU-Programms
An den Diskussionen zu dem neuen Programm mit dem Arbeitstitel "Neue Gerechtigkeit durch mehr Freiheit" haben sich bis zu 70 000 Bürger und CDU-Mitglieder in Internetforen beteiligt, sagte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla am Dienstag im ZDF-"Morgenmagazin" kurz vor der Vorstellung des Grundsatzprogramms. Die CDU habe viele dieser Anregungen auch angenommen, betonte er. Die meisten Diskussionen habe es um den Familienteil gegeben. Die CDU mache nun deutlich, dass zwar Ehe und Familie das Leitbild seien, aber die Partei auch andere Formen des Zusammenlebens respektiere.

Der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler kritisierte den Entwurf als zu wirtschaftsfreundlich. Im Bayerischen Rundfunk sagte er: "Das scheint mir das Defizit bei der neuen Programmatik zu sein." Die CDU müsse "als Mutter der sozialen Marktwirtschaft das Konzept einer internationalen, sozialökologischen Marktwirtschaft entwickeln", forderte er. Im Moment definiere sich die Wirtschaft falsch, fügte der CDU-Politiker hinzu. "Der Börsenwert eines Unternehmens steigt umso mehr, desto mehr Leute wegrationalisiert werden." Ein solches Wirtschaftssystem sei unsittlich und nicht konsensfähig.