Kardinal Lehmann über die Amtszeit Benedikt XVI.

"Der Papst hat manchen überrascht"

Kardinal Karl Lehmann hat zum 80. Geburtstag Papst Benedikt XVI.
dessen Amtsführung gewürdigt. Der Papst aus Deutschland habe in den vergangenen zwei Jahren viele Beobachter durch Gesten, Personalentscheidungen und sein Lehrschreiben überrascht, sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Bonn. Er sei in der Öffentlichkeit eindrucksvoll präsent, ohne dabei seinen Vorgänger zu kopieren.

 (DR)

KNA: Herr Kardinal, zwei Jahre ist der Papst jetzt im Amt. Am 16. April wird er 80 Jahre alt. Was prägt nach Ihrer Ansicht die bisherige Amtszeit?

Lehmann: Der Papst hat manchen überrascht, der ihn vorschnell beurteilen zu können glaubte. Ich denke an manche Personalentscheidung, etwa die des neuen Pressesprechers, des Jesuitenpaters Federico Lombardi. Ich denke an manche überraschende Begegnung - etwa mit Hans Küng. Ich denke an die erste Enzyklika "Deus Caritas est" oder an seinen Umgang mit den Jugendlichen beim Weltjugendtag: Wer hätte das zum Amtsbeginn vorausgesagt? Es bewahrheitet sich, dass man mit dem Schubladendenken nicht weiter kommt. Freilich muss sich jetzt auch konkret zeigen, wohin die Reise geht.

KNA: Was sind die wichtigsten theologischen Akzente, die Benedikt XVI. setzt?

Lehmann: Der Papst kommt theologisch vom Zweiten Vatikanischen Konzil, bei dem er als junger Professor als Berater von Kardinal Frings wichtige Dienste geleistet hat. Die Ökumene - besonders mit den christlichen Kirchen des Ostens - ist ihm ein wichtiges Anliegen. Es kommt ihm darauf an, grundlegende Linien des Glaubens aufzuzeigen und so den Glauben auch für das dritte Jahrtausend lebendig und authentisch weiterzugeben.

KNA: Sein Stil unterscheidet sich wesentlich von dem seines Vorgängers. Es gibt weniger Seligsprechungen, weniger Audienzen, weniger Reisen. Schadet das der Kirche, insbesondere in den Ländern des Südens, in denen der Papst deutlich weniger präsent ist?

Lehmann: Der Papst weiß sehr genau um die Sorgen der Menschen vor Ort. Durch die Ad-limina-Besuche der Ortsbischöfe - sie finden ja jeden Tag statt - lässt er sich unterrichten; er verfolgt Entwicklungen und kann dabei auch auf seine Erfahrung als Kurienkardinal zurückgreifen. Viele erwarten eine persönliche Präsenz; dies ist allerdings nicht immer möglich - und auch nicht immer erforderlich, um die Botschaft glaubwürdig weiterzugeben. Moderne Kommunikationsmittel ermöglichen eine Präsenz auch ohne leibhaftige Anwesenheit. Bei wichtigen Gelegenheiten, bei denen er nicht selbst anwesend sein kann, schickt er Delegaten, in Fragen der Ökumene etwa den so genannten Ökumene-Minister Kardinal Walter Kasper. Ich denke, der Papst ist - im Bewusstsein seiner Möglichkeiten und Grenzen auch seines Alters - eindrucksvoll präsent, ohne dabei seinen Vorgänger einfach zu kopieren.

KNA: Benedikt XVI. wurde wegen der Auseinandersetzung mit dem Islam und der Türkei schon als politischer Papst wider Willen charakterisiert. Glauben Sie, dass sich der Papst in dieser Rolle wohl fühlt und dass er sie als zentrales Thema angenommen hat?

Lehmann: Benedikt XVI. hat durch seine jahrzehntelange Erfahrung als Kurienkardinal durchaus ein Bewusstsein für diplomatische Gegebenheiten, und er weiß um die politische Wirkung des Amtes. Er ist aber auch durch und durch Professor und Theologe. Der interreligiöse Dialog muss beide Aspekte bedenken: Die politische Dimension, aber auch und zunächst der Sache nach die religiösen und theologischen Fragen. Hier gibt es im interreligiösen Dialog noch Nachholbedarf, und darauf scheint der Papst zu Recht hinweisen zu wollen.

KNA: Kritiker haben immer wieder die Sorge geäußert, dass Benedikt XVI. in der Ökumene eher auf die orthodoxen Kirchen zugehe, weil ihm die protestantischen Kirchen fremd seien. Wie ist da Ihre Bilanz nach zwei Jahren Amtszeit?

Lehmann: Der Papst stammt ja aus dem "Land der Reformation"; insofern sind ihm diese Fragen keineswegs fremd. Er hat als Theologe schon vor dem Konzil noch heute wegweisende theologische Beiträge geleistet. Übrigens auch mit seinen Schülern. Zum ökumenischen Gespräch gehören wie bei allen Formen des Dialoges aber mindestens zwei Partner. Wir müssen uns fragen, warum manches derzeit etwas ins Stocken geraten ist. Gleichwohl darf man nicht verkennen, welche enormen Fortschritte wir im ökumenischen Dialog - gerade auch mit den Protestanten - in den vergangenen Jahrzehnten erreicht haben. Es wäre unredlich, das durch überzogene populäre Forderungen kleinzureden. Ich verstehe aber auch die Ungeduld mancher Menschen, die unter der Trennung - wie wir alle - sehr leiden.

KNA: Ein Projekt des Papstes war die Reform der Kurie und eine bessere Einbindung der Ortskirchen. Insbesondere nach der Aufregung um den Regensburger Vortrag war dann aber von erheblichen Pannen und Abstimmungsproblemen im Vatikan die Rede. Wo sehen Sie Erfolge und offene Fragen?

Lehmann: Ich weiß nicht, ob man die Reform der Kurie mit den Aufregungen um die Regensburger Vorlesung in Verbindung bringen kann. Tatsache ist, dass es in der Kurie einige Umbesetzungen gegeben hat, auch eine neue Strukturierung einzelner Kurienbüros. Wir müssen jetzt abwarten, welche Akzente die neuen Kurialen setzen, wie die Zusammenarbeit mit den bestehenden Strukturen und den Ortskirchen aussehen wird. Dabei müssen wir auch den neuen Verantwortlichen die nötige Geduld und Nachsicht entgegenbringen, die ein Neuanfang erfordert. Freilich hoffe ich, dass es tatsächlich zu einer stärkeren Einbindung der Ortskirchen kommen wird. Daran haben wir auch bei den Ad-limina-Besuchen der deutschen Bischöfe im November erinnert und dabei in den meisten Vatikanbehörden eine große Offenheit für diese Fragen erlebt.

KNA: Hat sich die Kirche in Deutschland unter dem "deutschen"
Papst verändert?

Lehmann: Ich mag das Wort vom "deutschen" Papst nicht. Ich rede lieber vom "Papst aus Deutschland". Der Papst hat sein Amt immer schon für die Weltkirche. Wir beobachten natürlich, dass es eine stärkere Identifikation mit dem Papst aus unserem Land gibt - was aber nicht zwangsläufig in die Kirche führt. Wenn viele Menschen durch dieses neue Interesse an Kirche und Papst Orientierung für den Glauben und ihr Leben finden, kann das nur recht sein.