Rechte und Ultrakatholiken streben ein totales Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen an

Polen streitet über die Abtreibung

Im katholischen Polen macht sich die rechtsklerikale Partei "Liga Polnischer Familien" für eine Verschärfung des ohnehin strengen Abtreibungsrechtes stark. Auf Initiative der kleinen Regierungspartei soll das Parlament (Sejm) in Warschau in dieser Woche ein Totalverbot von Schwangerschaftsabbrüchen beschließen - unabhängig davon, welche Gründe eine Frau haben mag, diesen Schritt zu gehen.

 (DR)

Allerdings ist dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig.
Motor des Vorstoßes ist Bildungsminister Roman Giertych. Der Chef der "Liga Polnischer Familien" will auch ein Verbot "homosexueller Propaganda" an Schulen durchsetzen. Mit den Themen Abtreibung und Homosexualität will die rechtsklerikale Gruppierung bei den Wählern Terrain zurückgewinnen - in Umfragen erreicht die Liga weniger als zwei Prozent.

Nach geltendem Recht 200 Abtreibungen im Jahr
Seit 1993 kann in Polen nach geltendem Recht eine Schwangerschaft nur nach Vergewaltigung, bei gesundheitlicher Gefahr für die Mutter oder schwerer Schädigung des Fötus legal abgebrochen werden. Als Folge dieser Regelung werden nur 200 legale Abtreibungen im Jahr registriert. Illegale Abbrüche gibt es Schätzungen zufolge mehr als 100.000.

Selbst in Härtefällen verweigern Ärzte häufig eine Abtreibung - aus Angst vor Angriffen von Ultrakatholiken. So sorgte der Fall von Alicja Tysiac für Kontroversen. Der sehbehinderten Frau wurde 1999 von polnischen Ärzten eine Abtreibung verwehrt, obwohl sie mit gesundheitlichen Schäden rechnen musste. Nach der Geburt ihrer Tochter erblindete Tysiac fast.

Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg sprach der alleinerziehenden dreifachen Mutter in der vergangenen Woche Schadenersatz zu. Dafür erntete Tysiac Kritik in der polnischen Presse sowie von Kirchenvertretern und Regierungsmitgliedern, obwohl 66 Prozent der Polen das Urteil laut einer Umfrage für gerechtfertigt halten. "Sie ist eine Person, die ihre Kinder umbringen will", polemisierte Minister Giertych.


Zwei-Drittel-Mehrheit nötig
Für die Verfassungsänderung, mit der die Rechtsklerikalen das Totalverbot durchsetzen wollen, ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig. Giertych hat für sein Vorhaben die katholischen Bischöfe und einen Teil der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" von Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski hinter sich, vor allem aber Tadeusz Rydzyk, den Direktor von "Radio Maryja".

Der erzkonservative Priester kritisiert in jüngster Zeit zunehmend die Regierung und vor allem Staatspräsidenten Lech Kaczynski, der eine Verschärfung des Abtreibungsrechts aus Sorge vor gesellschaftlicher Polarisierung nicht befürwortet. Für diesen Mittwoch hat der Priester zu einem Marsch auf Warschau aufgerufen, um für das Totalverbot der Abtreibung zu werben.

Frauenrechtsverbände und die polnischen Grünen planen eine Gegendemonstration. Darunter befindet sich auch Alicja Tysiac. Mehr als 50 katholische Organisationen hätten schon gegen das Straßburger Urteil protestiert, "doch keine hat gefragt, ob ich nicht auch Hilfe brauche", sagte die von Sozialhilfe lebende Frau.