Europas Zukunft auf zweieinhalb Seiten - Kein Gottesbezug und kein Verfassungsbegriff

"Wir, die Bürger der Europäischen Union..."

Lang wurde spekuliert, ob der 2005 von Kritikern für tot erklärte EU-Verfassungsprozess wiederbelebt werden kann. Am Tag vor dem EU-Sondergipfel in Berlin ist klar: Der Text der " Berliner Erklärung" steht, der Inhalt kommt mit Schwung. Bis zuletzt hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Besuchsdiplomatie oder deutlichen Telefonaten Abweichler wie Polen und Tschechien zum Einlenken bewegt oder britische Restriktionen in die Erklärung eingearbeitet. Wo lagen die Probleme?

 (DR)

Zweieinhalb Seiten wird der Text der "Berliner Erklärung" lang sein, mit der offiziell die Unterzeichnung der Römischen Verträge von exakt 50 Jahren gewürdigt werden soll. Doch geht es der deutschen EU-Ratspräsidentschaft weniger um eine "Verbeugung" vor der 50-jährigen Geschichte des vereinten Europas, das vom "Sechser-Klub" zur Union mit heute 27 Mitgliedsstaaten angewachsen ist. Vielmehr soll die Tür offen gehalten werden für neue Mitglieder. Auch geht es darum, die drohende Spaltung in "altes und neues Europa" zu verhindern und den Kontinent "mit einer Stimme" sprechen zu lassen.

Neben aller politischen Verständigung, das haben die Staats- und Regierungschefs nach den Verfassungsreferenden von 2005 begriffen, muss Europa auch für die Bürger "verständlich" bleiben. So hat Berlin von Anfang an Wert darauf gelegt, die Erklärung nicht in EU-Deutsch abzufassen, sondern für alle Bürger "klar und lesbar" zu machen.

Immer wieder wird in dem Papier daher das "Wir" betont. "Der Text sollte aus Sicht der Bürger abgefasst sein", hieß es am Freitag, als die Endfassung zumindest in deutscher Sprache vorlag. Nun muss dieses pathetische "Wir Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union sind zu unserem Glück vereint" in die anderen 22 Amtssprachen der Europäischen Union übersetzt werden.

Streitthemen wie EU-Verfassung, Erweiterung oder der Gottesbezug wurden ausgeklammert. So findet sich statt des "schillernden Begriffs 'Erweiterung'" der Verweis auf ein offenes Europa, der umstrittene direkte Gottesbezug wird mit der Würdigung des Beitrags jedes Landes zur Entwicklung des Kontinents umgangen. Hinzugefügt werden Werte wie Toleranz und Teilhabe, Gerechtigkeit und Solidarität.

Die größte Herausforderung war, die "Herausforderungen der EU" zu beschreiben, ohne dass das in Großbritannien ungeliebte Wort "Verfassung" auftaucht. Aber auf der anderen Seite musste deutlich gezeigt werden, dass die EU-Spitzen die "politische Ohrfeige" der Bürger in Frankreich und den Niederlanden verstanden haben. Also wird das europäische Gesellschaftsideal beschworen mit seiner Balance von "wirtschaftlichem Erfolg und sozialer Verantwortung".

Das Wichtigste steht am Schluss: Die Verpflichtung zur Reform der EU bis zur nächsten Europawahl im Jahr 2009 - was den Kern der immerhin schon von 18 Mitgliedsstaaten angenommenen EU-Verfassung ausmacht. Genau das wollen am Sonntag Bundeskanzlern Merkel als EU-Ratspräsidentin, EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso und der Präsident des Europaparlaments, Hans-Gert Pöttering, im Deutschen Historischen Museum feierlich unterzeichnen. "Denn", so lautet der Schlusssatz, "wir wissen: Europa ist unsere gemeinsame Zukunft".