50 Jahre Römische Verträge: Papst Benedikt XVI. fordert eindringlich Gottesbezug in Verfassung

"Einzigartige Form von Abtrünnigkeit"

Papst Benedikt XVI. hat erneut eindringlich einen Gottesbezug in der EU-Verfassung gefordert. Er warnte am Samstag in Rom die Regierungen Europas davor, die christlichen Wurzeln des Kontinent auszublenden und das gemeinsame Erbe zu verspielen. Die würde eine "einzigartige Form von Abtrünnigkeit" darstellen. Die deutschen Kirchen appellieren an Kanzlerin Merkel, doch noch einen Gottesbezug in der EU-Verfassung durchzusetzen: Hören Sie hierzu im domradio-Interview Prälat Karl Jüsten, den Leiter des Katholischen Büros in Berlin.

 (DR)

Das Haus Europa lasse sich nur auf einem soliden historischen, kulturellen und moralischen Fundament mit gemeinsamen Werten aufbauen, sagte der Papst zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge. Auch der Vatikan-Botschafter in Deutschland, Erzbischof Erwin Josef Ender, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, sprachen sich für einen Gottesbezug aus.

Nach Medienberichten enthält der bisherige Textentwurf der "Berliner Erklärung" zum Gründungsjubiläum der Europäischen Union keine Erwähnung des christlich-jüdischen Erbes. Die Erklärung, mit der die Regierungsvertreter den Verfassungsprozess wieder in Gang setzen wollen, soll an den 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge erinnern. Sie wird am Sonntag in Berlin verlesen und unterzeichnet.

"Einzigartige Form von Abtrünnigkeit"
In seiner Ansprache betonte der Papst weiter, Europa brauche diese Werte als ein "Ferment der Zivilisation" auf seinem Weg ins dritte Jahrtausend. Ein Verzicht auf universale und absolute Werte wäre eine "einzigartige Form von Abtrünnigkeit" gegenüber sich selbst und gegenüber Gott und ließe Zweifel an der Identität aufkommen. Ausdrücklich rief der Papst die Katholiken auf, von ihrem Recht auf Gewissensverweigerung Gebrauch zu machen, wenn fundamentale Rechte verletzt würden. "Eine Gemeinschaft, die sich ohne Respekt vor der Würde des Menschen aufbaut und dabei vergisst, dass jeder Mensch nach Gottes Ebenbild geschaffen ist, ist niemandem von Nutzen", so Benedikt XVI..

Der Berliner Bischof Huber hob hervor, das europäische Menschenbild beruhe auf der Überzeugung, dass Gott den Menschen nach seinem Bild geschaffen habe. Daraus ergebe sich seine unantastbare und unveräußerliche Würde, erklärte Huber in einem Beitrag der in Hamburg erscheinenden "Bild am Sonntag". Dies solle eine europäische Verfassung klar aussprechen und so verdeutlichen, was die Seele Europas ist".

"Falsches Signal für Europa"
Den Verzicht auf einen Gottesbezug hatte am Freitag bereits der Vatikan-Botschafter in Deutschland, Erzbischof Erwin Josef Ender, kritisiert. Gerade vor der erneuten Aufnahme der Verhandlungen um eine europäische Verfassung sei dies "das falsche Signal für Europa". Unterdessen hatte der deutsche Europabischof Reinhard Marx die "Berliner Erklärung" verteidigt. Die Erklärung entspreche inhaltlich im Wesentlichen dem, "was wir als Kirche vertreten." Es sei eine Darstellung des christlichen Menschenbildes, so der Trierer Bischof.

Kirchen mahnen Europa zur Verantwortung vor Gott
Kardinal Karl Lehmann und Bischof Wolfgang Huber haben in einem am Freitag in Bonn und Hannover veröffentlichten Brief an die EU-Ratspräsidentin, Bundeskanzlerin Angela Merkel, appelliert, "den Weg der Einigung Europas in Verantwortung vor Gott und den Menschen weiterzugehen".

"Sehr geehrte Frau Ratspräsidentin,

in Dankbarkeit blicken wir am 25. März 2007 auf einen fünfzigjährigen Prozess friedlicher europäischer Einigung zurück, der den Bürgerinnen und Bürgern der heutigen Europäischen Union Frieden, Sicherheit und Wohlstand ermöglicht. Wir freuen uns, dass zu diesem Jubiläum der Europäische Rat und die Repräsentanten des Europäischen Parlaments sowie der Europäischen Kommission in Berlin zusammenkommen. In dieser Stadt, die die Zerrissenheit und Einigung unseres Kontinentes wie kaum eine andere widerspiegelt, wollen sie sich auf die gemeinsamen Grundlagen besinnen, die Europa in den vergangenen Jahrhunderten geprägt sowie die europäische Integration in den letzten fünf Jahrzehnten getragen haben und die für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts Verpflichtung sind.

Den Kirchen war und ist der europäische Einigungsprozess, der zu Frieden und Gerechtigkeit, Sicherheit und Wohlstand für viele Menschen beiträgt, ein großes Anliegen. Wir haben dies wiederholt deutlich gemacht. Gemeinsam bestärken wir Sie, sehr geehrte Frau Ratspräsidentin, in Ihren Bemühungen, auf der Basis des vom Europäischen Konvent erarbeiteten und vom Europäischen Rat beschlossenen Textes für einen Verfassungsvertrag die Arbeit an einem der heutigen Situation in Europa angemessenen Statut für die Europäische Union wieder aufzunehmen. Dabei denken wir auch an jene Staaten, die den Entwurf bereits gebilligt haben.

Besondere Bedeutung haben dabei die historischen, kulturellen und geistigen Grundlagen Europas. Sie alle sind ganz wesentlich durch das Christentum geprägt. Zu ihnen gehört unsere europäische Geschichte in ihren Höhen und Tiefen ebenso wie die gemeinsame europäische Kultur, deren herausragende Zeugnisse uns etwa in Architektur, Literatur, Musik, Kunst und Wissenschaft begegnen.

Dazu gehört vor allem ein Verständnis vom Menschen als Person, in der Individualität und Sozialität verbunden sind. Diesem Menschenbild verdankt Europa in besonderer Weise seine Identität.

Es beruht in erster Linie auf dem christlich-jüdischen Verständnis vom Menschen, den Gott nach seinem Bild geschaffen hat. Daraus ergeben sich die unantastbare, unveräußerliche Würde des Menschen und die Notwendigkeit, eine gerechte, solidarische und freiheitliche Gesellschaftsordnung zu gestalten. Überdies gehört es zu den Verpflichtungen Europas, für die Gerechtigkeit in der Gestaltung der Lebensverhältnisse in anderen Regionen der Erde einzutreten. Das christliche Menschenbild schließt die Achtung anderer Kulturen und Sprachen und die Toleranz gegenüber anderen religiösen sowie weltanschaulichen Überzeugungen und Lebensformen ein. Einheit in Vielfalt ist zu einem wichtigen Merkmal der europäischen Kultur geworden. Das Christentum anerkennt die Unterscheidung von Staat und Religion auf der Grundlage gegenseitigen Respekts und die daraus resultierende religiös-weltanschauliche, gleichwohl auf Kooperation ausgerichtete Neutralität des Staates.

In Würdigung der nach wie vor wirksamen Prägekraft des Christentums sind die christlich-jüdischen Grundlagen Europas auch für dessen Zukunft von entscheidender Bedeutung. Wir sind Ihnen dankbar, dass Sie diese Dimension Europas immer wieder öffentlich hervorheben.

Europa konnte die Spaltung der Vergangenheit überwinden und zu einer Einheit gelangen, die früher unvorstellbar gewesen wäre.
Angesichts der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ist unser Kontinent nun dazu aufgerufen, den Weg der Einigung Europas in Verantwortung vor Gott und den Menschen weiterzugehen.

Verehrte Frau Ratspräsidentin, wir wünschen Ihnen, dem Europäischen Rat, den Repräsentanten des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission bei Ihrer für Europa so bedeutsamen Arbeit Gottes Segen!

Mit freundlichen Grüßen

Bischof Wolfgang Huber Karl Kardinal Lehmann"