Cicero-Durchsuchung laut Verfassungsgericht nicht verfassungsgemäß

Journalistenverband: Ein Urteil für die Pressefreiheit

Die Durchsuchung der Redaktionsräume des Berliner Politikmagazins "Cicero" war verfassungswidrig. Die von der Potsdamer Staatsanwaltschaft im September 2005 in Auftrag gegebene Aktion stelle einen erheblichen Eingriff in die Pressefreiheit dar und sei somit unzulässig, heißt es in einem am Dienstag vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe veröffentlichten Urteil. Verlegerverbände, Journalistenorganisationen und Politiker von FDP, Grünen und Linkspartei begrüßten das Urteil und forderten Gesetzesänderungen.

 (DR)

Die bloße Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses durch Journalisten reiche nicht aus, um einen zur Durchsuchung und Beschlagnahme genügenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen, heißt es in dem Urteil. Damit gab das höchste deutsche Gericht der Beschwerde des Cicero-Chefredakteurs Wolfram Weimer recht. Weimer erklärte, das Urteil schütze Informanten und investigative Journalisten. Der Richterspruch mache die Arbeit von Journalisten "rechtssicher".

Die Politik sei nun aufgefordert, "den Spruch des höchsten Gerichts zur Grundlage ihres Handelns" zu machen, erklärte der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV). Die Bestimmungen zum Schutz der Pressefreiheit müssten klarer definiert werden. Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen schloss sich dieser Forderung an. Journalisten müssten von dem Straftatbestand der Beihilfe zum Geheimnisverrat ausgenommen werden, forderte sie. Auch Telefongespräche von Journalisten sollten vor Überwachung geschützt sein, wie es etwa auch für Pfarrer und Rechtsanwälte gelte.
Entsprechende Gesetzentwürfe von FDP und Grünen lägen vor.

Die Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Claudia Roth, erklärte, Journalisten müssten vor möglichen Eingriffen in ihre Grundrechte besser geschützt werden als bisher. Die große Koalition müsse zeigen, wie wichtig ihr der Schutz von unabhängiger und kritischer Berichterstattung sei. Die rechtspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, sagte in Berlin, das "Cicero"-Urteil bedeute eine "überfällige Stärkung" der Pressefreiheit in Deutschland. Diese sei aber trotz des heutigen Urteils gefährdet. Vorhaben etwa zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung bedeuteten eine massive Gefahr für den Informantenschutz.

Die innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linken, Ulla Jepke, teilte mit, die Bundesregierung wolle Freiheitsrechte im Namen einer falsch verstandenen Sicherheit opfern. Dass sie vom Bundesverfassungsgericht immer wieder gestoppt werde, sei ein "Glücksfall für die Demokratie".

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und die Deutsche
Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) sprachen von einem "Sieg" beziehungsweise einem "Meilenstein für die Pressefreiheit".

Nach dem heutigen Urteil könnten Ermittlungsbehörden Journalisten nicht mehr unter dem Vorwand der Beihilfe zum Geheimnisverrat überwachen, um deren Quellen aufzudecken, so der DJV.

Im September 2005 waren die Redaktionsräume von "Cicero" sowie das Wohnhaus des Journalisten Bruno Schirra durchsucht worden. Zuvor war in dem Magazin ein Artikel Schirras erschienen, in dem dieser aus einem internen Bericht des Bundeskriminalamtes über den Terroristen Abu Mussab al-Sarkawi ausführlich zitiert hatte.

Ziel der Durchsuchungsaktion sei es gewesen zu erfahren, wer der Informant aus den Reihen des BKA war, hatte Weimers Anwalt Alexander Ignor bei der mündlichen Verhandlung im November argumentiert. Die Potsdamer Staatsanwaltschaft begründete ihr Vorgehen damit, dass der Artikel «erhebliche für die Sicherheit der BRD relevante Geheimnisse» enthalten habe.