Polen einen Monat nach dem Wielgus-Rücktritt: Erzbischof fordert "sachliche" Debatte über Stasi-Vergangenheit

Warten auf die Zeit nach der Psychose

Der polnische Erzbischof Jozef Miroslaw Zycinski hat eine sachliche Aufarbeitung von kirchlichen Kontakten zum sozialistischen Geheimdienst gefordert. Die Kirche habe dazu einen wichtigen Schritt getan und beschlossen, alle Bischöfe auf mögliche SB-Kontakte zu überprüfen, sagte der Erzbischof von Lublin der Tageszeitung "Die Welt". "Wenn das vollzogen ist, wird die Zeit der Psychose und der Verdächtigungen zu Ende gehen", so Zycinski.

 (DR)

Vorwürfe nur Gerüchte
Polen diskutiert derzeit intensiv über die sozialistische Vergangenheit. In der vergangenen Woche verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das die Stasi-Überprüfung von Beamten vorsieht. Anfang Januar hatte der Rücktritt des neuen Warschauer Erzbischofs Stanislaw Wielgus wegen früherer Geheimdienstkontakte für Aufsehen gesorgt.

Auch Zycinski wurden Kontakte zum SB vorgeworfen. Er wies dies nun als "von Mund zu Mund" weitergebene Gerüchte zurück. Er habe sich vielmehr selbst bereits im Juni 2006 an die Behörden gewandt, um seine Stasi-Akten untersuchen zu lassen. Zudem habe er einen Historiker mit der Publizierung der Ergebnisse beauftragt. "So weit ich weiß, hat man bisher nicht viel gefunden", so der Bischof. Vielmehr habe es nur zwei Kontakte zum Geheimdienst gegeben. Danach habe ihn ein SB-Offizier aus der Kartei gestrichen.

"Aufgeheiztes Klima der Verdächtigungen"
Zycinski beklagte, dass in Polen derzeit ein aufgeheiztes Klima der Verdächtigungen herrsche. Für viele werde der "Mensch zu einer Stasi-Notiz reduziert". Eine "Gruppe junger Radikaler in unserem Land, Politiker und Publizisten" versuchten, eine "Agentenstatistik" zu erstellen. "Da ist kein Humanismus, kein Respekt vor dem Menschen mehr", so der Erzbischof.

Zum Fall Wielgus sagte Zycinski, dieser habe anfangs dem Vatikan nicht alle Details über seine Vergangenheit dargelegt. Es gebe aber keinen Beleg, ob Wielgus "tatsächlich denunziert oder geschadet hat". Es gelte die Unschuldsvermutung, solange nicht das Gegenteil bewiesen sei.