Hintergrund

Die religiösen Gemeinschaften des Libanon

Die religiöse und konfessionelle Zersplitterung unterscheidet den Libanon von den meisten anderen Ländern des Nahen Ostens. Doch der religiös-politische Proporz, der dem Land über Jahrzehnte Stabilität beschert hatte, ist brüchig geworden.
Nachfolgend eine Übersicht der wichtigsten religiösen Gruppierungen:

 (DR)


SCHIITEN: Schätzungen zufolge leben inzwischen 1,2 Millionen Schiiten im Libanon. Sie stellen damit die größte Glaubensgemeinschaft unter den vier Millionen Einwohnern des Landes. Vor allem in der an Syrien grenzenden Bekaa-Ebene und im Südlibanon bilden die der Lehre des vierten Kalifen (Mohammeds Vetter und Schwiegersohn Ali) verpflichteten Muslime die Bevölkerungsmehrheit. Ihre stärkste politische Kraft ist die seit 1992 von Hassan Nasrallah geführte Hisbollah («Partei Gottes»). Aber auch die Amal-Bewegung von Parlamentspräsident Nabih Berri verfügt über eine große Gefolgschaft.
Für die Schiiten sind das Amt des Parlamentspräsidenten und 27 der 64 muslimischen Parlamentssitze reserviert.

SUNNITEN: Während die Sunniten, die den vier so genannten rechtsgeleiteten Kalifen anhängen, in großen Teilen der islamischen Welt die Mehrheit stellen, sind sie im Libanon mit rund einem Viertel nur eine religiöse Gruppe unter vielen. Der am Ende der französischen Mandatszeit 1943 ausgehandelte Nationale Pakt sprach ihnen das einflussreiche Amt des Premierministers zu, das seit Sommer 2005 Fuad Siniora inne hat. Wie den Schiiten stehen den Sunniten im Parlament
27 der 64 muslimischen Mandate zu. Gelang es dem Premier Rafiq Hariri bis zu seiner Ermordung Anfang 2005, fundamentalistische Strömungen einzudämmen, so verlieren moderate sunnitische Geistliche nun an Einfluss.

MARONITEN: Die heute vom Patriarchen von Antochien, Nasrallah Pierre Sfeir, geführten Maroniten sind eine der ältesten konfessionellen Gemeinschaften im Libanon. Entstanden als Abspaltung der syrisch-orthodoxen Kirche im 7. Jahrhundert, leiten sie ihren Namen her vom Heiligen Maron, einem syrischen Mönch. Seit 1445 gelten die Maroniten offiziell als mit Rom unierte Ostkirche. Trotz Vertreibung und Abwanderung vieler Mitglieder während des Bürgerkrieges und in den 1990er Jahren verfügen sie bis heute über relativ viel politische
Macht: So stellen sie nicht nur den Präsidenten, seit 1998 Emile Lahoud, sondern auch 34 der 64 christlichen Parlamentssitze.

DRUSEN: Die Anfang des 11. Jahrhunderts von den schiitischen Ismaeliten abgespaltene Gemeinschaft umfasst rund 400.000 Mitglieder.
Obwohl der Koran zu ihrem kanonischen Schrifttum gehört, haben sich die Drusen von der alten islamischen Ordnung losgesagt und werden vom offiziellen Islam oft als Abtrünnige verfolgt. Die vom stärksten politischen Repräsentanten der Drusen, Walid Dschumblatt, geführte «Sozialistische Fortschrittspartei» setzt sich für die Abschaffung des festgelegten politisch-konfessionellen Proporzsystems ein. Im Parlament haben sie acht Sitze.

ORTHODOXE: Von den fünf orthodoxen, rund 400.000 Mitglieder zählenden Gemeinschaften im Libanon werden vier der orientalisch-orthodoxen Gruppe zugerechnet: Die koptischen, syrisch-, assyrisch- und armenisch-orthodoxen Kirchen betrachtete die Reichskirche seit dem Ökumenischen Konzil von Chalcedon im Jahr 451 als häretisch, weil sie die damals getroffene Aussagen über die zwei Naturen Christi nicht mitvollzogen. Lediglich die Anhänger der einflussreichen griechisch-orthodoxen Gemeinschaft sind der Auffassung, dass Christus wahrer Mensch und wahrer Gott sei. Einem ihrer politischen Repräsentanten fällt stets der Posten des stellvertretenden Parlamentspräsidenten zu, im Parlament stellen sie 14 Abgeordnete, die armenisch-orthodoxe Gemeinschaft fünf.

UNIERTE KATHOLIKEN: Neben den Maroniten gibt es fünf kleinere mit Rom unierte katholische Gemeinschaften, die zusammen etwa 400.000 Angehörige umfassen: griechische (Melkiten), armenische, syrische, chaldäische und Lateiner (römisch-katholische). Ihrer Tradition und hierarchischen Organisation nach stehen sie den orthodox-orientalischen Kirchen nahe, erkennen jedoch den Papst in Rom als Oberhaupt an. Unter den Katholiken ist die griechische Gemeinschaft am größten, gefolgt von den Armeniern. Im Parlament steht ihren politischen Repräsentanten acht beziehungsweise ein Sitz zu.

ANDERE GRUPPEN: Vier kleinere Gruppen komplettieren den 18 Glaubensgemeinschaften umfassenden religiösen Reigen des Libanon.
Neben den auch als Siebener-Schia bezeichneten Ismaeliten wird der schiitischen Sekte der Alawiten von sunnitischen Muslimen ebenfalls die Zugehörigkeit zum Islam bestritten. Die Zahl der Protestanten wird auf 40.000 geschätzt, die im «Supreme Council of the Evangelical Community in Syria and Lebanon» organisiert sind. Im Parlament stellen sie einen Abgeordneten, die Alawiten zwei. Die wenigen Juden spielen keine Rolle mehr.