Christliche Bevölkerung im Libanon tief gespalten

Christen gegen Christen

Das Nordende des Beiruter Märtyrerplatzes liegt ganz in den Händen der christlichen Märtyrer. Von der Fassade der Tageszeitung "an-Nahar2 hängt ein riesiges Bildnis Gibran Tuenis, der bei einem Autobombenanschlag im Dezember 2005 umgebracht wurde. Nur hundert Meter davon entfernt: ein Transparent Pierre Gemayels, dem Mitte November auf offener Straße erschossenen Nachkommen der wohl einflussreichsten maronitischen Familie des Libanon. Was den griechisch-orthodoxen Zeitungsverleger und Abgeordneten Tueni und den mit nur 34 Jahren ermordeten Industrieminister Gemayel einte, war ihr Hass auf das syrische Regime von Präsident Bashar al-Assad.

 (DR)


Nur ein paar Schritte vom "an-Nahar"-Redaktionsgebäude  entfernt, haben sich die Verteidiger Assads versammelt. Seit Anfang Dezember zelten hier, am südlichen Ende des Märtyrerplatzes, Tausende für den Sturz der antisyrischen Regierung von Premierminister Fuad Siniora.
Die meisten von ihnen sind schiitische Anhänger der Hisbollah von Generalsekretär Hassan Nasrallah oder der Amal-Bewegung Parlamentspräsident Nabih Berris.

Doch auch viele Christen sind darunter: Hoch über dem Platz hängt ein Bildnis des im Mai 2005 nach 15 Jahren im Exil aus Paris nach Beirut zurückgekehrten Exgenerals Michel Aoun, einem Christen. Die orangenen Schals seiner "Freien Patriotischen Bewegung" (FPM) sind überall zwischen den Zelten und Imbissständen zu sehen.

Mit Nasrallahs Hisbollah und Aouns FPM vereint hat sich ein zweiter maronitischer Politiker: Ex-Innenminister Suleiman Frangieh, der erst im Frühjahr die Partei Marada gründete, die nach der Miliz seines während des Bürgerkrieges (1975-1990) ermordeten Vaters benannt ist.
Während Gemayel und Tueni dem anti-syrischen "14. März-Bündnis" angehörten, das sich nach dem Mord an Ex-Premierminister Rafik Hariri bildete, hegen Aoun und Frangieh berechtigte Hoffnungen, im Falle eines Regierungssturzes die Macht in dem 4-Millionen-Einwohner-Land gemeinsam mit ihren muslimischen Verbündeten zu übernehmen.

Mitte Dezember verkündete der mit Assad verbündete libanesische Präsident Emile Lahoud: "Ich bin der Meinung, Aoun sollte der nächste Präsident sein." Lahouds Mandat läuft im Herbst nächsten Jahres aus, sein Nachfolger muss laut Nationalem Pakt von 1943 ein Maronit sein.

Die politische Spaltung der auf etwa 35 Prozent der libanesischen Bevölkerung geschätzten Christen hat Tradition. Schon während des Bürgerkrieges fochten viele, vor allem griechisch- und armenisch-orthodoxe Christen auf Seiten der linken "Nationalen Bewegung" gegen die rechtsgerichtete Kataeb-Partei der Gemayels und ihre in den 1980er Jahren von Samir Geagea geführte Miliz "Forces Libanaises" (FL).

Der innerchristliche Bruderkrieg zwischen Geageas Einheiten und der von Aoun befehligten Armee endete 1990 erst mit der Bombardierung des Präsidentenpalastes von Baabda, wo der heute 71-jährige Aoun Zuflucht gesucht hatte. Ironie der Geschichte: Einst einer der schärfsten Kritiker des syrischen Baath-Regimes, paktierte Aoun nach seiner Rückkehr im Mai 2005 bei den Wahlen mit den pro-syrischen Kräften.

Wenige Wochen nach Beginn der Massenproteste gegen das mit zehn christlichen Ministern besetzte Kabinett des sunnitischen Premiers Siniora ist unklar, wie der Konflikt ausgehen wird. Nicht zuletzt auf christlicher Seite: Während der Schulterschluss zwischen Aoun und Nasrallah schiitisch-christliche Auseinandersetzungen unwahrscheinlich macht, kam es nach der Ermordung Gemayels im christlich dominierten Ostbeiruter Viertel Aschrafieh zu ersten Ausschreitungen.

Nur ein Großeinsatz von Polizei und Armee konnten schlimmere Zusammenstöße von Aoun-Anhängern und Gefolgsleuten von Geageas "Forces Libanaises" und Gemayels verhindern. Vielleicht zum letzten Mal fürchten Kenner der christlichen Szene, die seit Ende des Bürgerkrieges 1990 stetig an politischem Einfluss verloren hat.