Prof. Hengsbach zur sozialen Verantwortung der Kirche

Kirche als Rufer in der Wüste

Die soziale Schere geht immer weiter auseinander. Hartz IV und Massenentlassungen einerseits, die Top-Gehälter der Manager und die Heuschreckenkampagne andererseits, waren häufige Diskussionen im zu Ende gehenden Jahr. Birgitt Schippers sprach mit Friedhelm Hengsbach SJ, Prof. em. für christliche Gesellschaftsethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen, über die soziale Verantwortung der Kirchen.

 (DR)

domradio: Wie wird die Kirche ihrer Rolle als Rufer in der Wüste gerecht?
Hengsbach: Der Papst ist der Meinung, es gibt keinen Glauben an Gott ohne Liebe, die Sympathie, die Zuwendung zum Mitmenschen. Und das ist ein sehr starkes Wort; so deutlich hat das ein Papst noch nie gesagt. Wenn die Kirche keine Caritas hätte oder sich nicht organisieren würde für die Liebe zum nächsten, dann müsste man ihr fast den Glauben an Gott absprechen. Das tut die Kirche auch, die Caritas national und international: Es gibt Beschäftigungsinitiativen, es gibt die Tafeln, die Suppenküchen und Hilfe für Obdachlose. Da ist die Kirche sehr stark. Darüber hinaus besteht die Sozialverkündigung auch in der Überprüfung der Strukturen. Und da hat der heutige, aber auch der vorherige Papst immer sehr starke Kritik geübt an einem ungehemmten und entfesselten Kapitalismus, der viele menschliche Defizite aufweist. Dass die Unternehmen nicht als Ort der freien Arbeit angesehen werden und dass er Markt nicht durch gesellschaftliche und staatliche Kräfte eingebunden wird.

Wo müsste die Kirche mutiger sein?
In Deutschland muss man vor allem sehen, dass die Kirche auf zwei Schienen fährt: Sie ist sehr stark engagiert, wenn es um Ausländer geht, Gerechtigkeit gegenüber Asylbewerbern, und in Sachen der Dritten Welt. Und neuerdings hat Pax Christi sich sehr scharf und kritisch geäußert gegenüber der zunehmenden Aufrüstung und Militarisierung gerade auch von deutscher Seite aus. Auf der anderen Seite fehlt mir ein starkes Engagement für soziale Gerechtigkeit im Inneren, für das Verhältnis zwischen Armen und Reichen. Und da habe ich den Eindruck, dass die Kirchenleitungen sehr stark an der Seite der politischen Eliten stehen und auch bewusst den Schulterschluss mit den politischen Eliten suchen, erst unter Schröder und jetzt unter Merkel und Müntefering.

Heißt das, die Bischöfe sollten auf die Straße gehen, also demonstrativ den Schulterschluss mit den Arbeitnehmern suchen?
Auf jeden Fall. Die Bischöfe müssen nicht auf die Straße gehen, aber sie sollten gleichsam nicht nur sich informieren bei denen, die in den Betrieben unter dem ökonomischen Druck der Flexibilisierung und der Zurückdrängung der Interessen der Belegschaften leiden. Sie sollten Kontakt halten mit Menschen in unsicheren Arbeitsverhältnissen und nicht nur mit Beamten und nicht nur mit den Eliten und ihren Klassenkameraden, die ja weit entfernt sind von der Lebenslage Alleinerziehender oder Arbeitsloser oder Menschen, die Vollzeit arbeiten, aber trotzdem ein Einkommen beziehen, das praktisch auf ALGII-Niveau liegt. Christen und die Kirchen sollten selbst ein Beispiel vorleben, sie sollen nicht von Gerechtigkeit reden, wenn Gerechtigkeit nicht im eigenen Laden Platz hat. Ein Beispiel: Beide Kirchen schalten ja die Gewerkschaften als Mitarbeitende in ihren eigenen Bereichen aus und sie lassen keine Tarifverträge zu. Deshalb kann man fragen, ob die Löhne, die in den Kirchen ausgehandelt werden, überhaupt gerechte Löhne sind, weil gerechter Lohn nur dann verhandelt werden kann, wenn auf gleicher Augenhöhe verhandelt wird und das ist in den Kirchen einfach nicht der Fall. Die andere Seite  scheint mir zu sein, dass die Kirchen diese monetäre Dimension der Wirtschaft stärker in den Blick nehmen müssen. Erkennen, dass Wohl und Wehe einer Wirtschaft nicht von den abhängig Beschäftigten abhängt, also von denen, die auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbar sind. Dass man da Druck ausüben müsste und große soziale Reformen anzetteln müsste wie Hartz IV oder der gleichen mehr. Sondern, dass die erste Aufgabe, die Krise zu bewältigen darin besteht, die vagabundierenden Finanzströme mehr oder weniger in den Griff zu bekommen. Da fehlt es bei den kirchlichen Verantwortlichen an einem Bewusstsein, dass unsere so genannte soziale Marktwirtschaft eine kapitalistische Marktwirtschaft ist. Dass da sehr große Schieflagen wirtschaftlicher Macht das Leben und auch das Arbeiten bestimmen. Dass die Machtverhältnisse Ungerechtigkeit erzeugen. Dies ist im kirchlichen und christlichen Bereich viel zu wenig entwickelt, weil die Kirchen sich als kooperative Geißeln sowohl der Manager als auch der politisch verantwortlichen verstehen.

Sehen Sie da gesamtgesellschaftlich und innerkirchlich die Chance auf eine Trendwende?
Der Druck ist groß und auch in der Öffentlichkeit wird jetzt viel stärker über gesamtwirtschaftliche Verantwortung geredet. Früher hat man immer gesagt: Leistung muss sich lohnen und es kommt darauf an, die individuellen Talente zu entwickeln. Inzwischen ist das Bewusstsein stärker geworden, dass wenn jeder nur auf seine eigene Leistung schaut und ein entsprechendes Honorar einfordert, und wenn die Unternehmen nur aus betriebswirtschaftlicher und einzelwirtschaftlicher Sicht heraus handeln und Löhne senken wollen, dann führt das am Ende zu einer Krise, die alle erfasst und die den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft negativ beeinflusst.