Vor 30 Jahren wies die DDR Wolf Biermann aus - Bundespräsident Köhler ehrt den Liedermacher mit Orden und Abendessen

Als der "preußische Ikarus" im Westen landete

 (DR)

Vor 30 Jahren wurde Wolf Biermann von der DDR-Führung das Aufenthaltsrecht entzogen. Die Ausbürgerung gilt heute als Beginn der Oppositionsbewegung in der DDR. Bundespräsident Horst Köhler ehrt den Dichter und Liedermacher am Mittwoch mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens. Biermann bekommt die Auszeichnung am Tag seines 70. Geburtstages im Schloss Bellevue in Berlin überreicht. Am Abend nach der Ehrung gibt Köhler ein Essen zu Ehren von Biermann. Köhler würdigte Biermann als "preußischen Ikarus", der in der Tradition von Brecht und Heine zu den großen deutschen Liedermachern und Literaten zähle.

Zuvor lange Geschichte der Kritik
„Die zuständigen Behörden der DDR haben Wolf Biermann das Recht auf weiteren Aufenthalt in der DDR entzogen", meldeten vor dreißig Jahren, am 16. November 1976, die DDR-Medien. Der Dichter und Liedermacher habe sich „mit seinem feindseligen Auftreten" selbst um das Recht auf „weitere Gewährung der Staatsbürgerschaft" gebracht. Zehn Tage später wurde Biermanns Freund Robert Havemann, der bekannteste Bürgerrechtler und Systemkritiker der DDR, zu Hausarrest verurteilt, weil er im westdeutschen Nachrichtenmagazin „Spiegel" gegen die Ausbürgerung protestiert hatte.

Die SED erhoffte sich von diesen „Maßnahmen der zuständigen Organe", die von Biermann und Havemann seit den frühen 60er Jahren artikulierte Kritik an der Engstirnigkeit des sozialistischen Regimes zu unterdrücken. Schon 1965 war gegen Havemann, den angesehenen Antifaschisten, SED-Funktionär, weltbekannten Chemiker und rasch an Profil gewinnenden politischen Publizisten - sein Buch „Dialektik ohne Dogma?", in dem er umfassende Freiheiten und Parteienpluralismus für die DDR forderte, erschien 1964 in der Bundesrepublik - , ein Arbeits- und Veröffentlichungsverbot verhängt worden. Seine Parteimitgliedschaft wurde beendet.

Biermann durfte nicht auftreten, seine Gedichte und Lieder konnten in der DDR ebenfalls nicht erscheinen. Beide nutzten jedoch gute Kontakte zu westlichen Medien, um weiterhin ihre Meinung zu äußern. Die Staatssicherheit schaffte es trotz scharfer Überwachung nicht, die Kanäle der kritischen Geister in den Westen zu verstopfen.

Biermann und Havemann: Köpfe einer rasch wachsenden Opposition
Mitte der 70er Jahre galten Biermann und Havemann, wie aus Stasiakten hervorgeht, aus Sicht der SED als die Köpfe einer rasch wachsenden Opposition in der DDR, die sich in ihrem großen Freundeskreis junger Intellektueller und dessen Umfeld entwickelte. Sie waren zu populär, um sie in politische Haft zu nehmen, ohne dass für die DDR, die um internationale Anerkennung bemüht war, schwerer Schaden entstanden wäre.

Biermann wurde eine Konzertreise nach Westdeutschland genehmigt. Sein erstes Konzert dort, am 13. November in Köln, diente als Vorwand, ihm die Rückkehr zu verwehren. Ziel der Ausbürgerung war, Biermann als Kritiker loszuwerden. Sie wäre, belegen Akten, auch vollzogen worden, wenn Biermann, wie er sagt, in Köln „nur 'Hänschen klein' gesungen hätte". Havemann sollte damit isoliert und seinerseits zur Ausreise gedrängt werden.

Der Ausweisung folgte die Protestbewegung
Die Ausbürgerung führte zu einer beispiellos breiten Protestbewegung in der DDR bis hinauf in solche Literatenkreise, die bis dahin als systemnah gegolten hatten. Der Protest gegen die Ausbürgerung gilt heute als Ursprung der späteren Bürgerrechtsbewegung in der DDR.

Der 1910 geborene Havemann war als ehemaliger kommunistischer Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus darin erprobt, „in aussichtsloser Situation noch Aktionen von großer Wirkung zu organisieren", wie es der Bürgerrechtler Gerd Poppe beschreibt. Er hatte sich, als einer der Anführer einer Widerstandsgruppe zum Tode verurteilt, vor der Hinrichtung gerettet, indem er im Zuchthaus Brandenburg kriegswichtige Forschungen fingierte. In seinem Labor in der Todeszelle baute Havemann ein Radio, mit dem er heimlich den Zusammenbruch von Hitlers Kriegsmaschine verfolgte und Material für eine Häftlingszeitung gewann, die er selbst schrieb und über andere kommunistische Häftlinge im Zuchthaus verbreiten konnte.

Dank solcher Erfahrungen war Havemann zwar von der Ausbürgerung erschüttert, aber keineswegs gelähmt. Er schrieb einen offenen Brief an Staats- und Parteichef Erich Honecker, der im „Spiegel" erschien. Mit dem Hausarrest verschärfte das Regime daraufhin den Druck auf Havemann. Doch er meldete sich auch aus Hausarrest und Isolation immer wieder in westlichen Medien zu Wort. Einen Coup landete er mit dem Buch „Ein deutscher Kommunist", das im Herbst 1978 erschien.