In der Armutsdebatte wächst der Ruf nach Konsequenzen

Öffentliches Beschäftigungsprogramm für Problemgruppen?

In der Debatte um eine neue soziale Unterschicht in Deutschland wird der Ruf nach politischem Handeln lauter. SPD und Deutscher Gewerkschaftsbund fordern ein öffentliches Beschäftigungsprogramm für Problemgruppen. Derweil warf CSU-Generalsekretär Markus Söder dem Koalitionspartner SPD vor, für „einen Großteil der neuen Armut" in Deutschland verantwortlich zu sein.

 (DR)

In der Debatte um eine neue soziale Unterschicht in Deutschland wird der Ruf nach politischem Handeln lauter. SPD und Deutscher Gewerkschaftsbund fordern ein öffentliches Beschäftigungsprogramm für Problemgruppen. Derweil warf CSU-Generalsekretär Markus Söder dem Koalitionspartner SPD vor, für „einen Großteil der neuen Armut" in Deutschland verantwortlich zu sein. Hören Sie einen Beitrag über die gegenseitigen Schuldzuweisungen. Sozialbischof Reinhard Marx ruft die Politik auf, endlich zu handeln, statt sich in gegenseitigen Schuldzuweisungen zu ergehen. Die Situation sei seit langem bekannt. Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband ermahnte die große Koalition, der Debatte über Armut in Deutschland Taten folgen zu lassen.

Bischof Marx: Benachteiligte Menschen müssen Leben in die Hand nehmen

Die Ergebnisse der Unterschichtenstudie wertete Marx als wenig überraschend. Seit über 20 Jahren herrsche in Deutschland Massenarbeitslosigkeit. Auch Armutsberichte wie der der Caritas hätten schon eindeutig gezeigt, was jetzt nochmals genannt werde. Für die „abgehängten" Menschen müsse die Politik Arbeitsplätze schaffen, forderte der Bischof.

Der Trierer Bischof hat zudem die Menschen aufgerufen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Positive Lebenseinstellung, Antriebsstärke und Wertüberzeugung könnten nicht vom Staat erledigt werden, sondern seien Sache des Familien- und Gesellschaftslebens, sagte Marx am Mittwoch. Wenn die Familie als Rahmen für Religion und Werte wegfalle, dann werde es für jeden Menschen problematischer, das Leben mit seinen „Schwierigkeiten anzupacken".

In der Politik gehen Sandkastenspiele weiter
Söder betonte: „Sieben Jahre Rot-Grün haben zu Massenarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit vieler Menschen geführt." Es sei deshalb peinlich für die SPD, dass ausgerechnet die ihr nahe stehende Friedrich-Ebert-Stiftung ihr den Spiegel vorhalte und sie „mit der bitteren Wahrheit über die Unterschicht in Deutschland konfrontiert". Söder forderte indirekt eine Absenkung der Bezüge aus „Hartz IV", die bereits ein Mindestlohn seien. „Weil er so hoch ist, fehlt manchen die Motivation zur Arbeit", sagte der Generalsekretär.

Auch Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) sprach sich für schärfere Schritte bei Ablehnung eines angebotenen Arbeitsplatzes aus. „Sozial heißt Hilfe zur Selbsthilfe", sagte Bosbach und fügte an: „Sozial heißt aber nicht, leben auf Kosten anderer Leute." Wenn jemand zum zweiten oder dritten Mal eine zumutbare Arbeit ablehne, „halte ich eine drastische Kürzung für gerechtfertigt". Dann könne man „ruhig unterstellen, dass die ihren Lebensunterhalt auf andere Art und Weise verdienen".

Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD, Klaus Brandner, sprach sich dagegen für mehr öffentliche Beschäftigung aus. „Wir müssen uns von der Illusion verabschieden, dass wir alle Menschen in einen regulären Arbeitsplatz vermitteln können", betonte er. Die herkömmlichen Arbeitsmarktinstrumente helfen hier nicht weiter." Brandner schlägt vor, mit auf Dauer angelegter öffentlicher Beschäftigung den bisher Chancenlosen zu helfen. Die Kosten sollte der Bund tragen, wobei nach Möglichkeit die Kommunen und auch die Länder zu beteiligen wären.

Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund, befürwortete ebenfalls mehr öffentliche Beschäftigung. „Viele Personen haben realistisch gesehen keine Chance, die Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt zu schaffen", sagte sie. Die Gewerkschafterin rief die Politik zum Handeln auf: „Es reicht nicht, nur über Armut zu reden. Man muss auch etwas dagegen tun."
Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband fordert die große Koalition zum Handeln auf. „Ich hoffe, dass ein radikales Umdenken einsetzt", sagte Verbandschefin Barbara Stolterfoht. „Dreh- und Angelpunkt" bei der Bekämpfung von Armut sei der Arbeitsmarkt: „Das einzige, was hilft, ist also eine intelligentere Arbeitsmarktpolitik, als sie bisher gemacht wurde."

Die Politik habe sich lange der Illusion hingegeben, mit den „Hartz"-Reformen Menschen wieder in Arbeit zu bringen. „Die Strategien haben versagt", urteilte Stolterfoht. Die Maßnahmen hätten noch mehr Menschen arm gemacht. Stolterfoht forderte einen Ausbau der aktiven Arbeitsmarktpolitik, die im Zuge der Reformen „völlig vernachlässigt worden" sei. „Wir brauchen außerdem einen zweiten und dritten Arbeitsmarkt."
Der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler griff die Wirtschaft im Zusammenhang mit der Armutsdebatte scharf an. Sie sei ein „raubtierähnliches kapitalistisches System, bei dem der Börsenwert eines Unternehmens steigt, je mehr Menschen wegrationalisiert werden". Geißler appellierte an die Länder und Kommunen, Problemfamilien intensiver zu betreuen. Das koste zwar Geld, „doch Folgeschäden kosteten mehr Geld."

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