Sterbehilfe: Rechtsexperten kritisieren beim Deutschen Juristentag unsichere Rechtslage

Das Sterben zulassen?

Ganz konkrete "Signale an den Bundestag" hat der 66. Deutsche Juristentag in Stuttgart zum Abschluss mit seinen Beschlüssen zur Sterbehilfe ausgesandt. In diesem Bereich soll es nach Ansicht von Juristen und Medizinern klarere gesetzliche Grundlagen geben. Behandlungsabbrüche und das Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen sollen auch schon vor der Sterbephase rechtlich erlaubt sein.

 (DR)

Ganz konkrete "Signale an den Bundestag" hat der 66. Deutsche Juristentag in Stuttgart zum Abschluss mit seinen Beschlüssen zur Sterbehilfe ausgesandt. In diesem Bereich soll es nach Ansicht von Juristen und Medizinern klarere gesetzliche Grundlagen geben. Behandlungsabbrüche und das Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen sollen auch schon vor der Sterbephase rechtlich erlaubt sein. Im Strafgesetzbuch soll dabei ausdrücklich klar gestellt werden, dass sich Ärzte in solchen Fällen nicht strafbar machen. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries und die Hospizstiftung lehnen eine Gesetzesänderung ab. Christoph Strack im domradio-Interview.

Juristentag will Patientenverfügungen verbindlich machen
Der Juristentag sieht in Deutschland erheblichen Reformbedarf in der Gesetzgebung über Sterbebegleitung und Sterbehilfe. Er sprach sich am Donnerstag in Stuttgart mit großer Mehrheit für ein Gesetz aus, das Patientenverfügungen für verbindlich erklärt.

Eine Mehrheit befürwortet weiter, dass Menschen nicht mehr bestraft werden, wenn sie es unterlassen, einen anderen nach einem freiverantwortlichen Selbsttötungsversuch zu retten. Zudem sollen Ärzte beim Suizid eines Schwerstkranken helfen dürfen, wenn dessen Leiden nicht ausreichend gelindert werden kann und er sich freiverantwortlich dafür entscheidet. Bislang verbietet das Standesrecht der Mediziner ausnahmslos ärztliche Beihilfe.
Mediziner sind nach dem Berufsrecht auch beim Freitod zur Lebensrettung verpflichtet. Empfehlungen des Juristentages sind nicht verbindlich, haben aber Einfluss auf die rechtspolitische Diskussion.

Nach den Vorstellungen der Delegierten soll die Gültigkeit einer Patientenverfügung an bestimmte Bedingungen geknüpft werden: Sie muss entweder schriftlich abgefasst oder etwa durch Videoaufnahme zuverlässig dokumentiert sein. Es dürften keine Anzeichen für äußeren Zwang, Täuschung oder Irrtum vorliegen. Aber auch wenn keine schriftliche Verfügung vorliege und der Patient nicht mehr äußerungsfähig sei, müsse sein mutmaßlicher Wille gegebenenfalls durch Entscheidung des Vormundschaftsgerichts ermittelt werden.
Eine ärztliche Beratung soll nach dem Willen des DJT jedoch nicht Voraussetzung für die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung sein.

Kirchen und Hospizstiftung gegen Änderungen im Strafrecht
Im Vorfeld des Juristentages hatten sich Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), Ärztekammerpräsident Jörg-Dietrich Hoppe und die Deutsche Hospiz Stiftung gegen neue Festlegungen im Strafrecht ausgesprochen. "Dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten wird schon heute im Strafrecht besonders Rechnung getragen", sagte die Ministerin, die allerdings Patientenverfügungen im Zivilrecht verankern will.

Die Hospiz Stiftung fürchtet, dass eine Festschreibung erlaubter Sterbehilfeformen im Strafrecht als Signal für eine zunehmende Akzeptanz aktiver Sterbehilfe missverstanden werden könnte. Sie erklärte am Donnerstag in einer ersten Reaktion, die beim Juristentag vertretenen Fachleute sähen offenbar das Selbstbestimmungsrecht der Patienten in einem starren Behandlungsverzicht erfüllt. Autonomie sei aber nur dann möglich, wenn sowohl die pflegerische als auch die medizinische Versorgung hochprofessionelle Angebote umfasse. Hoppe hatte zuvor erklärt, die ärztliche Beihilfe bei der Selbsttötung vertrage sich nicht mit dem ärztlichen Selbstverständnis.

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) kritisiert den Deutschen Juristentag (DJT) für sein Votum, das strikte Verbot ärztlicher Hilfe beim Suizid aufzuheben. Eine solche Änderung des Standesrechts würde gegen das auf Heilung ausgerichtete Ethos des Arztberufes verstoßen und das Verhältnis zwischen Arzt und Patient nachhaltig belasten, erklärte das Laienkomitee am Freitag in Bonn.

Das ZdK nannte auch DJT-Forderung bedenklich, Patientenverfügungen gesetzlich für verbindlich zu erklären. Zwar sei eine zivilrechtliche Präzisierung des Verbindlichkeitsgrads sinnvoll, betonte das Laien-Komitee. Sie müsse aber in der Logik des bestehenden Betreuungsrechts eingebettet sein. Demnach komme einer schriftlich geäußerten früheren Willensäußerung eine hohe Beachtlichkeit zu, über die sich ein Betreuer nur mit gewichtigen Gründen hinwegsetzen dürfe. Gleichwohl müsse eine unmittelbare Verbindlichkeit im Sinne einer Eins-zu-eins-Umsetzung grundsätzlich ausgeschlossen bleiben.

Schweizer Zustände?
Zwar sind die Empfehlungen des Juristentages nicht verbindlich, doch haben sie Einfluss auf die rechtspolitische Diskussion. Sollte sich die Position zur Suizidproblematik durchsetzen, würden Sterbehilfeorganisationen nach Schweizer Vorbild in Deutschland legal. Im vergangenen Jahr hatte die Schweizer Sterbehilfeorganisation "dignitas" in Hannover ein erstes deutsches Büro eröffnet. In der Alpenrepublik leistete sie 2004 rund 105 Personen Beihilfe zur Selbsttötung, davon 80 Prozent Ausländern.
(epd,kna,dbk,dr)