Verbände fordern Aktionsplan der Bundesregierung

Kinderarmut verdoppelt

Einen Aktionsplan gegen Kinderarmut in Deutschland haben das UN-Kinderhilfswerk Unicef, der Deutsche Kinderschutzbund und das Bündnis für Kinder von der Bundesregierung gefordert. Im Einzelnen verlangen sie die Sicherung eines angemessenen Existenzminimums für Kinder, gebührenfreie Kindergärten, den Ausbau von Ganztagsschulen sowie die gezielte Förderung für Kinder aus Migrantenfamilien ab dem Kindergarten.

 (DR)

Einen Aktionsplan gegen Kinderarmut in Deutschland haben das UN-Kinderhilfswerk Unicef, der Deutsche Kinderschutzbund und das Bündnis für Kinder von der Bundesregierung gefordert. Im Einzelnen verlangen sie die Sicherung eines angemessenen Existenzminimums für Kinder, gebührenfreie Kindergärten, den Ausbau von Ganztagsschulen sowie die gezielte Förderung für Kinder aus Migrantenfamilien ab dem Kindergarten. Die Schlüsselaufgabe der Bundesregierung sei es, die Menschen wieder in Arbeit zu bringen, sagt Rudi Tarneden von UNICEF Deutschland im domradio-Interview.

Simonis: "Massenhafte Ungerechtigkeit und Benachteiligung"
Beim Forum "Deutschland für Kinder" am Dienstag in Berlin warnten die Organisationen vor dramatischen Folgen von Armut und Ausgrenzung für betroffene Jungen und Mädchen und den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft. Der Vorstandsvorsitzende des Bündnisses für Kinder, Alt-Bundespräsident Roman Herzog, erklärte, Kinder ohne Chancen seien die Arbeitslosen von morgen. Die Vorsitzende von Unicef-Deutschland, Heide Simonis, bezeichnete Kinderarmut als massenhafte Ungerechtigkeit und Benachteiligung. Kein Land könne es sich leisten, so vielen Jungen und Mädchen einen guten Start ins Leben vorzuenthalten.

Millionen Kinder leben auf Sozialhilfeniveau
Nach Angaben des Kinderschutzbundes leben in Deutschland 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche auf Sozialhilfeniveau. Damit hat sich die Kinderarmut in den vergangenen zwei Jahren mehr als verdoppelt, erläutert der Präsident der Organisation, Heinz Hilgers. Für die betroffenen Kinder bedeute Armut schlechtere Chancen auf Bildung und Gesundheit, auf Teilhabe an sozialen und kulturellen Aktivitäten sowie auf ein entwicklungsförderndes und ausgeglichenes Familienleben.

Hilgers beklagte, der im Koalitionsvertrag auch für ärmere, kinderreiche Familien zugesagte Kinderzuschlag erreiche bislang nur 40.000 Kinder. Geringer verdienende Familien dürften nicht in Armut geraten, nur weil sie viele Kinder hätten. Auch der gewaltige Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit treibe Familien in die Armut.

Hoher Selektionsdruck nach Pisa-Schock
Auch reduziere mangelndes Einkommen der Eltern Bildungs- und Berufschancen der Kinder, beklagen die drei Organisationen. Nach dem "Pisa-Schock" habe sich der Selektionsdruck in den Schulen weiter erhöht, ohne dass weitere Förderungsmöglichkeiten geschaffen würden. Als Folge blieben immer mehr Kinder ohne Abschluss.

Bischöfe Lehmann, Meisner und Huber: Armut in Deutschland ist Skandal
Die beiden großen Kirchen in Deutschland haben die hohe Zahl armer Kinder und die Vererbung von Armut als Skandal bezeichnet. Die sich weitende Schere zwischen Arm und Reich auf Grund gestiegener Arbeitslosigkeit widerspreche der christlichen Vorstellung von einer Gesellschaft in Solidarität und
Gerechtigkeit, so der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann. Sorgen bereite die Situation derjenigen, die nicht von staatlicher Hilfe erreicht werden.

Der Kölner Kardinal Joachim Meisner beklagt, nach wie vor seien Kinder in Deutschland ein Armutsrisiko. Das bleibe ein Skandal. Von der Politik verlangt der Kardinal "Mut zur Gestaltung". Auf jeden Fall müssten Kinder wieder "in die Mitte" gestellt werden, damit die Gesellschaft Zukunft habe.

Auch die evangelische Kirche fordert eine wirksamere Bekämpfung von Armut in Deutschland. Armut in einem reichen Land sei ein Skandal, sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, im Juli bei der Vorstellung der EKD-Denkschrift "Gerechte Teilhabe". Die Zahl der Armen steige, obwohl Deutschland enorme Möglichkeiten habe, Armut zu verhindern. Zu den maßgeblichen Armutsursachen zählt die Denkschrift die Arbeitslosigkeit. Die Politik müsse sich auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Integration Erwerbsloser konzentrieren. Für schwer Vermittelbare fordert die EKD öffentlich geförderte Arbeitsplätze. Ein Niedriglohnsektor müsse akzeptiert aber so klein wie möglich gehalten werden.
(dr, kna, epd)