Der Saarbrücker Katholikentag zeigte eine Kirche auf der Suche

Gerechtigkeit zwischen Regengrau und Hoffnungsgrün

Eine Bilanz von KNA-Redakteur Christoph Strack: "Gerechtigkeit ist der Prüfstein für unser Land im Umbruch. Gerechtigkeit ist der Maßstab für das neue Europa. Gerechtigkeit ist die Hoffnung für die Menschen weltweit." Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) band zum Abschluss des 96.

 (DR)

Eine Bilanz von KNA-Redakteur Christoph Strack:
"Gerechtigkeit ist der Prüfstein für unser Land im Umbruch. Gerechtigkeit ist der Maßstab für das neue Europa. Gerechtigkeit ist die Hoffnung für die Menschen weltweit." Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) band zum Abschluss des 96. Deutschen Katholikentages dessen Leitwort "Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht" an die verschiedenen Perspektiven des Saarbrücker Treffens.

Wie vielfältig und schwierig das Thema war, umriss Kardinal Karl Lehmann in seiner Predigt im Open-Air-Schlussgottesdienst. Von elementarer Existenzsicherung, verborgener Not und der Würde des Menschen sprach der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, von übertriebenem Individualismus und von Enttäuschungen. "Wir haben heute viele Gelegenheiten, die ,Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht' besser einzuüben." Lehmann mahnte mehr Einfühlsamkeit für Arme, Schwache, Benachteiligte, Kranke, Alte und Behinderte an, den "frischen Blick für den Anderen" und für die Not, die man "nicht so leicht sieht". Bei der Schlussfeier mit 20.000 Menschen im Saarbrücker Ludwigspark-Stadion dominierte nach drei ziemlich verregneten Tagen ein Himmel mit Sonnenschein aus Wolkenlöchern.
An den Vortagen konnte sich das Hoffnungsgrün, das als Farbe des am Mittwochabend eröffneten Christentreffens Plakate und Halstücher zierte, kaum gegen das schwere Regengrau durchsetzen.

Das Generalthema Gerechtigkeit prägte die vielen Einzelthemen:
Globale Gerechtigkeit, Europa, Sozialstaat, Situation der Kirche.
Bundespräsident Horst Köhler formulierte, wie es ein Staatsoberhaupt kaum deutlicher kann, Kritik an den politischen Akteuren der westlichen Welt und warf ihnen "Doppelmoral" vor.
Ohne Gerechtigkeit werde es dauerhaft keinen Frieden angesichts von Hunger und Armut in der Welt geben. Das Staatsoberhaupt stand mit den Mahnungen, den ärmeren Ländern mehr Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen, an der Seite bedeutender Kardinäle aus Lateinamerika.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) überraschte als werbende Europäerin und gewann durch ihr Zugehen auf jeden, der ihr begegnete. Das wirkte wie die Verkörperung jenes Optimismus, den Vize-Kanzler Franz Müntefering (SPD) einforderte. Kaum ein anderer Termin des Katholikentags war im Publikum so sehr von Emotionen geprägt wie das Gespräch des Bundesarbeitsministers mit Gewerkschaftschef Michael Sommer, dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, und Unternehmern. Da war die wachsende Kluft in der Gesellschaft zu spüren. Zwischenrufe, eher laute Töne als leise Reden, nervöse Sicherheitskräfte. Die Mahnung von Lehmann beim Abschluss-Gottesdienst, beim Dialog über soziale Gerechtigkeit gehe es um einen Streit auf faire Weise, hat ihre Gründe.
Bemerkenswert: Das Thema Familie, das seit Monaten hoch kocht und bei dem die Kirche ein wichtiger Akteur ist, kam nur am Rande vor. Anders als ihre Vorgängerin Renate Schmidt (SPD) beim bundesweit 1. Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin und beim Katholikentag in Ulm 2004 und anders als eine Reihe von Kabinettskollegen tauchte Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) an der Saar nicht auf.

Der Katholikentag mit gut 40.000 Teilnehmern an fünf Tagen war politisch und kirchlich keine Standortbestimmung, sondern eine Suchbewegung. Manches zerlief sich zwischen Innenstadt und Messegelände an zu vielen anderen Austragungsorten, und nicht selten sah man Ortsunkundige bei Regen und Wind ratlos Stadtpläne falten und lesen. Auf Richtungssuche.

Bis in den Samstagabend hinein pochte durch die Kirchenmeile in der Innenstadt der weiche Hammerschlag der Schnitzer am Stand des Bonifatiuswerkes der deutschen Katholiken. Binnen Tagen war aus einem gut zwei Meter hohen Stammholz die markante Gestalt des heiligen Bonifatius geworden, des historisch wohl wichtigsten Bischofs der Kirche in Deutschland. Gewiss, Oberhirten können sich die Gläubigen weder schnitzen noch wählen. Aber die Szene hatte doch etwas Symbolisches. Denn neben den großen politischen Foren hatte in Saarbrücken auch so etwas wie die "Werkstatt Kirche" Konjunktur. Veranstaltungen wie "Deutsche Gemeinden zwischen Krisenbewältigung und Aufbruch", "Kirche Richtung Mensch
- mitten am Rand" oder "Die Stunde der Laien?!" waren überraschend gut besucht.

Wäre die Bemerkung eines Bischofs, seine Diözese sei bei seinem Amtsantritt "wirtschaftlich an die Wand gefahren" gewesen, von einem Repräsentanten des Laienkatholizismus gekommen, hätte der kaum neue Freunde im Kreis der Oberhirten gewonnen. Der für das Saarbrücker Treffen gastgebende Trierer Bischof Reinhard Marx nannte die Krisensituation der Kirche ein "Zeichen der Zeit", das den Drang nach Veränderung und Neuorientierung verstärke - und mahnte Missionswillen an.

Während in Saarbrücken die Ökumene als Sachthema eher an den Rand rückte, boomten das Geistliche Zentrum und fromme Angebote erneut. Beim Taize-Gebet standen, wie schon beim Berliner Ökumenischen Kirchentag und beim Ulmer Katholikentag Tausende betend und singend vor der voll besetzten Halle. Neun Monate nach dem Kölner Weltjugendtag war der in vielerlei Hinsicht kleinere Katholikentag fromm, leiser - und auf der Suche.