Kann nach dem Holocaust noch von Gott gesprochen werden?

Stichwort: Theologie nach Auschwitz

"Theologie nach Auschwitz" bezeichnet die Auseinandersetzung jüdischer und christlicher Theologen mit der Frage, ob und wie nach dem Holocaust von Gott gesprochen werden kann. Es geht darum, ob an einen Gott geglaubt werden kann, der den Massenmord an sechs Millionen Menschen nicht verhinderte.

 (DR)

"Theologie nach Auschwitz" bezeichnet die Auseinandersetzung jüdischer und christlicher Theologen mit der Frage, ob und wie nach dem Holocaust von Gott gesprochen werden kann. Es geht darum, ob an einen Gott geglaubt werden kann, der den Massenmord an sechs Millionen Menschen nicht verhinderte. Das theologische Gespräch darüber begann allerdings nicht unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, sondern mit rund 30-jähriger Verzögerung in den 1970er Jahren. Es dauert bis heute an.

Der jüdische Holocaust-Überlebende und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel schreibt: "Die Aussage, wir hätten für Gott gelitten, enthielte die Behauptung einer Rechtfertigung und versähe das Leiden, das Menschen über uns verhängt haben, mit religiöser Bedeutung." Das aber wäre Verrat am Leiden. Der Jerusalemer Rabbiner und Philosoph Emil L. Fackenheim (1916-2003) formulierte neben den 613 biblischen Geboten das 614., dass es Juden verboten sei, "Hitler einen postumen Sieg zu geben". Das bedeute, die Millionen Ermordeten nicht zu vergessen und trotzdem als Juden weiterzuleben. Es gelte, nicht an der "Idee Mensch" zu verzweifeln und nicht an Gott zu verzweifeln.

"Fragt euch, ob die Theologie, die ihr kennen lernt, so ist, dass sie vor oder nach Auschwitz eigentlich die gleiche sein könnte.
Wenn ja, dann seid auf der Hut", formulierte der katholische Fundamentaltheologe Johann Baptist Metz. Er ist zusammen mit den Protestanten Jürgen Moltmann und Dorothee Sölle der bedeutendste deutsche Theologe zu diesem Thema. Für Metz kann Theologie nicht mehr gegen das Judentum, sondern nur mit ihm entwickelt und gelebt werden. Dazu müsse die Vergangenheit aufgearbeitet werden, die bis in die hohe Theologie hinein immer wieder von Antijudaismus geprägt gewesen sei, sich vom Judentum habe absetzen wollen und es zugleich unredlich beerbte.

Leidenschaftlich für eine Aussöhnung zwischen Christen und Juden und die Aufarbeitung der Vergangenheit trat auch Papst Johannes Paul II. ein, der in der Nähe von Auschwitz aufwuchs. Er nannte die Juden die "älteren Brüder". Der heutigen christlichen Theologen-Generation geht es darum, Auschwitz nicht zur bloßen Metapher werden zu lassen. Sie beruft sich auf ein Wort Wiesels:
"Auschwitz bleibt eine Frage ohne Antwort. Das Einzige, was wir tun können, ist Fragen zu stellen und uns zu wundern." (KNA)